„Wer bist du?“, will Xenos wissen, während dieser kampfbereit dem Gleichaltrigen mit der Sense gegenübersteht.
Der Junge kommt auf ihn zu: „Ich bin Nekomaru, der Sohn des großen und mächtigen Dämonenfürsten Heres. Und du bist Xenos, mein Feind.“
Mit den Worten stürmt er auf Xenos zu und schwingt seine Sense. Der junge Nekromant will die Sense mit seinem Dolch abblocken, doch sie schneidet Xenos‘ Waffe problemlos entzwei. In letzter Sekunde schafft er es, ihr nach hinten auszuweichen. Immer wieder greift der Blondhaarige ihn mit einem amüsierten, kindlichen Kichern an, doch jedes Mal schafft Xenos es, dem Angriff zu entkommen, und weicht immer weiter zurück. Beide scheinen den Kampf nicht mit voller Kraft zu führen. Während Xenos desinteressiert und fast schon gleichgültig eher eine defensive Position hält, scheint es Nekomaru wahrlich Spaß zu bereiten, ihn immer wieder anzugreifen.
„Du bist der Sohn eines Dämonenfürsten?“, fragt Xenos ungläubig. „Das kann nicht sein. Du bist ein Mensch wie ich.“
Nach dieser Aussage verschwindet Nekomarus Kichern. Wut flammt in seinen Augen auf. Seine Angriffe gehen schneller und stärker auf Xenos nieder.
„Ich bin ein Dämon und kein wertloser Mensch“, schreit er Xenos an.
Schließlich schafft er es, Xenos einen Schnitt am Arm zuzufügen. Dieser fällt nach hinten. Ein letztes Mal holt Nekomaru aus. Doch mit einer Rolle zur Seite entkommt Xenos seinem sicheren Tod.
Er befindet sich nun in der Gasse, aus der Nekomaru kam. Drei Personen liegen hier. Ein Gardist und zwei Männer. Ihre Körper sind nur leicht beschädigt. Das hätte nicht ausgereicht, um sie als Untote erneut zu töten. Warum sind sie also nicht mehr untot? Plötzlich wird es Xenos klar. Schon seit dem Moment, in dem Nekomaru seinen spektralen Dolch zerstörte, schöpfte Xenos Verdacht.
„Deine Sense, das ist die Dämonensense, richtig?“
„Richtig“, erwidert Nekomaru lachend, als er erneut zum Entscheidungsschlag gegen den am Boden Liegenden ausholt.
„Concursores fluctus“, ruft ihm Xenos entgegen.
Nekomaru wird an die gegenüberliegende Hauswand geschleudert. Xenos nutzt den Moment, um aufzustehen und das Schwert des toten Gardisten an sich zu nehmen.
„Deine Sense vermag zwar sämtlichen spirituellen und magischen Kreaturen sowie Objekten erheblichen Schaden zuzufügen, aber gegen Lebewesen dieser Welt mit gewöhnlichen Waffen verschafft dir deine Sense keinerlei Vorteil.“
Xenos grinst und bewegt sich auf Nekomaru zu, welcher sich auch schnell wieder in Kampfstellung begibt.
„Da hast du recht, jetzt zählt nur noch unser Können.“
Der Blonde fängt erneut an kindlich schelmisch zu kichern, als er wieder auf sein Gegenüber losstürmt. Ihre Waffen prallen aufeinander, immer wieder, bis schließlich beide einen Treffer landen. Während Nekomaru nur eine Schnittverletzung an der Schulter davonträgt, schafft dieser es, Xenos mit gewaltiger Kraft das Blatt seiner Sense in die Seite zu stoßen. Der Nekromant wird regelrecht zurückgeschleudert und rutscht auf der dreckigen Straße noch weiter. Blut fließt bei ihm nicht. Sein Brustpanzer ließ die verheerende Schärfe der Klinge nicht bis zu seinem Körper durchdringen. Lediglich eine tiefe Kerbe bleibt zurück.
„Nicht schlecht, aber ich habe auch nichts anderes von einem Kind der Prophezeiung erwartet“, spricht Nekomaru.
Seine Wunde bedeckt er mit seiner Hand. Xenos lässt ihm ein ähnlich provokatives Kompliment entgegenklingen.
Der Schwarzhaarige lächelt: „Das kann ich nur erwidern, ich hätte auch nicht gedacht, dass ein Mensch, der einen hässlichen Dämonen für seinen Vater hält, schwach ist.“
„Ich bin kein Mensch!“, schreit Nekomaru ihn an.
„Natürlich, schau dich an! Du bist wie ich, ein Mensch. Wie kommst du nur auf solch eine sinnfreie Idee, dich für einen Dämon zu halten!“
„Ich bin nicht wie du“, antwortet Nekomaru mit seiner hellen, doch nun sehr ernst klingenden Stimme.
Er verfällt in Rage und geht zum nächsten Angriff über. Erneut prallen ihre Waffen aufeinander. Der zuvor von beiden Seiten nur halbherzig geführte Kampf scheint für Nekomaru nun immer ernster zu werden, während Xenos nach wie vor einen recht gleichgültigen und doch zielstrebigen Gesichtsausdruck zeigt. Er ist sich sicher, siegreich hervorzugehen.
„Ich bin nicht wie er“, schwebt es in Nekomarus Gedanken, während er wieder und wieder zuschlägt. „Ich bin nicht wie er, ich bin nicht wie die Menschen. Ich bin ein Dämon!“
Die Gedanken des Jungen schweifen weiter ab. Er erinnert sich an längst vergangene Zeiten. Heres sitzt vor dem jüngeren Nekomaru auf seinem Thron. Der Raum wird nur von einer kleinen Lichtquelle erhellt.
Nekomaru fragt ihn: „Papa, warum schauen mich die anderen Dämonen immer mit solch abwertenden Blicken an?“
„Sie sehen nicht, was in dir steckt, mein Sohn. Dein Äußeres ähnelt den verachtenswerten Menschen, aber du bist und warst schon immer mein Sohn.“
„Ich hasse mein Aussehen“, schreit Nekomaru.
Der kleine Junge ballt seine Hände fest zu Fäusten. Heres winkt ihn heran.
Er streicht ihm über sein Gesicht: „Du bist schön, wie du bist. Schau mich an. Meine Statur erinnert auch an die eines Menschen. Es zählt nicht, wie man aussieht, es zählt, was man ist! Und dir steht ein großes Schicksal bevor. Du wirst den anderen schon zeigen, was für ein starker Dämon du bist.“
Der kleine Nekomaru schöpft aus diesen Worten neue Kraft.
Er nickt: „Natürlich Papa! Vielen Dank.“
Als nächstes kommt ihm ein Gespräch mit der Nekomanta Iota in den Sinn. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits älter. Er und der Katzendämon entspannen fernab der anderen und blicken in die endlose Schwärze der Ebene.
„Sag mal, Nekomaru, die Bewohner Atra-Regnums haben dir doch nie etwas getan, oder? Miau“, fragt ihn Iota.
Nekomaru schüttelt den Kopf.
„Miau, meinst du dann nicht, dass dein Vater mit seinen Plänen etwas weit geht?“
„Warum?“, schaut der Junge seine Freundin an. „Die Lebenden haben es gar nicht verdient, in dieser Welt zu wohnen. Sie sind schwach und das ist ihr Untergang.“
„Miau! Fühlst du dich denn so gar nicht mit ihnen verbunden? Das Totenreich und Atra-Regnum können nur miteinander koexistieren. Wir sind voneinander abhängig, miau. Und immerhin bist du doch einer von …“
Nekomaru unterbricht sie: „Was bin ich?“
„Schon gut, miau“, spürt Iota die aufkommende Anspannung. „Ich meine nur, dass Heres etwas zu weit geht.“
Er schaut Iota an: „Also willst du zurück zu deiner Herrin Shedu?“
Sie zögert zu antworten: „Ja, miau, bitte komm mit mir. Sie ist eine gnädige Fürstin. Ich weiß, du siehst Heres als deinen Vater, doch …“
Nekomaru steht auf, senkt den Kopf und geht. Er dreht sich nicht mehr zu Iota um.
Mit einem enttäuschten und leicht traurigen Unterton verabschiedet er sich: „Dann hoffe ich, dass du dort auch so gute Freunde findest wie hier. Aber ich werde dich nicht begleiten.“
Plötzlich landet Xenos erneut einen Treffer.
„Was ist mit dir los? Komm doch zu Sinnen“, verlangt der Junge.
„Ich bin bei Sinnen“, ruft Nekomaru.
Erneut stürmt er auf Xenos zu. Kurz vor ihm setzt er zum Sprung an. Er zielt direkt auf Xenos‘ Kopf.
„Concursores fluctus!“
Im letzten Moment wird Nekomaru zurückgeschleudert.
„Spiritus mouit“, wirkt Xenos nach. „Du willst mich wirklich töten? Das entspricht sicher nicht den Wünschen deines angeblichen Vaters.“
Er überträgt einen mächtigen Hieb auf den Blondhaarigen. Dieser sackt kurz zusammen.
„Du hast recht“, erwidert Nekomaru. „Aber solange ich dich leben lasse, kann ich dir soviel Leid zufügen, wie ich möchte.“
„Du wirst nicht mehr zur Vernunft kommen, nicht wahr? Du bist bereits verdorben. Dann bleibt mir nichts anderes übrig. Auch wenn du es nicht kannst. Ich werde dich töten.“
Nun geht Xenos in den Angriff über. Nekomaru entkommt jedoch seinen Angriffen. Xenos holt erneut aus. Immer wieder schlägt er zu. Seinem Gegner fällt es nicht leicht, alle Angriffe zu parieren. Gleichzeitig nutzt er jeden Moment für Gegenschläge. Nach und nach landen sie immer wieder leichtere Treffer bei ihrem Kontrahenten.
„Was ist mit dir? Warum kämpfst du?“, will Nekomaru von Xenos wissen. „Du könntest das Kämpfen den anderen überlassen.“
„Ich kämpfe einzig und allein für meine eigenen Ziele!“
„Das ist falsch“, meint der Blondhaarige.
„Was weißt du schon“, erwidert Xenos, als er erneut zuschlägt.
Nekomaru pariert und antwortet: „Mehr als du denkst. Du bist eines der Kinder der Prophezeiung, du kämpfst nicht für dich allein. Du bist gezwungen, für alle zu kämpfen.“
Xenos lacht: „Ehrlich gesagt, ist es mit ganz egal, was aus all den Leuten wird. Was interessieren mich all diese Seelen, die ich überhaupt nicht kenne. Für sie soll ich mein Leben aufs Spiel setzen? Ich bin nicht ihr Kindermädchen. Natürlich helfe ich denen, die Hilfe brauchen, wenn es sich anbietet. Doch ich kann nicht für alle da sein. Und wenn es darauf ankommt, stelle ich meine Ziele und Wünsche an die oberste Stelle, koste es, was es wolle.“
Die harten Worte des kleinen Kindes verhallen ungehört von anderen in der Gasse. Nur der ebenfalls junge Nekomaru vernahm sie.
Er äußert sich dazu: „Solche doch egoistischen und selbstgefälligen Worte hätte ich von jemandem wie dir gar nicht erwartet. Respekt. Und dennoch wirst du nach unserem Kampf weder die Möglichkeit haben, anderen zu helfen, noch dir selbst.“
Nekomaru lacht laut auf. Der Kampf der beiden wird heftiger. Schließlich schafft es der Junge von Heres wieder einen Treffer zu landen. Er durchtrennt die Riemen von Xenos‘ Rüstung, die mit dumpfem Geräusch zu Boden fällt.
„Nun ist es fair“, meint der Blondhaarige.
„Fair oder nicht. Wenn man gewinnt, gewinnt man, egal mit welchen Mitteln und zu welchem Preis“, antwortet Xenos. „Apparis flatulentarum servus cobolorum!“
Ein Kobold taucht bei Xenos auf und stürzt auf Nekomaru zu.
„Deine Diener bringen dir nichts“, erinnert der Junge Xenos.
Mit einem gekonnten Hieb schneidet er die Kreatur entzwei. In diesem Moment explodiert der Kobold. Nekomaru erleidet einen schweren Treffer und geht zu Boden. Xenos hat nicht vergessen, wie er gegen den Jungen zu kämpfen hat. Es ist genau das geschehen, was er erwartet hat. Er stellt sich über Nekomaru und hält ihm das Schwert an die Brust.
„Gewonnen.“
„Nicht fair!“, erwidert Nekomaru unter Schmerzen.
Xenos grinst. Er will zustechen, als plötzlich ein langer Schatten über die Kinder hinwegzieht. Der Nekromant schaut nach oben und erblickt gerade noch rechtzeitig die auf ihn zu stürzenden feindlichen Kobolde. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als von seinem matt gesetzten Gegner abzulassen und den Angriff abzuwehren. Mit einer weiteren Druckwelle schleudert er die Monster zurück in die Luft. Diesen Moment will Xenos nutzen, um Nekomaru nun für ewig ins Reich der Toten zu verbannen. Doch als er sich ihm wieder zuwendet, ist er fort. Erneut stürzen die Kobolde, nun breit gefächert, herab.
Xenos geht in sich. Seine Aura verfinstert sich. Er greift erneut auf seine Totenform zurück. Ein tiefschwarzer Rauchwirbel entsteht um seine Füße. Er will diesem Kampf nun ein Ende setzen.
Mit erboster Stimme schreit er: „Wo bist du, du Schwächling?“
Kobold für Kobold streckt der Nekromant nieder. Langsam verschwinden die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont. Mit eiskaltem, finsteren Blick schaut er die immer dunkler werdende Straße entlang.
„Komm, zeig dich! Concursores fluctus. Lass es uns zu Ende bringen! Concursores fluctus.“
Er entfesselt gewaltige Druckwellen, die die Häuserfronten in sich zusammenstürzen lassen.
„Wo versteckst du dich? Apparis flatulentarum servus cobolorum“, beschwört Xenos einen weiteren Kobold. „Los, geh und finde ihn.“
Plötzlich leuchtet sein Kristall auf. Ein stechender Schmerz beginnt seine Brust zu quälen. Xenos zieht den Anhänger hervor.
„Ich habe die Kontrolle! Ich brauche dich nicht mehr!“
Mit aller ihm verbliebenen magischen Energie versucht der Stein, Xenos‘ überschüssige Macht in sich zu bannen. Xenos sinkt zu Boden. Der Kristall färbt sich dunkler und dunkler, als er schließlich implodiert. Die gesamte angesammelte böse Energie entweicht in einer gewaltigen Druckwelle aus schwarzer Magie.
Diesen Moment der Schwäche nutzt Nekomaru aus und schlägt zu. Aus einer Hausruine kommt er hervorgesprungen und rast auf den Nekromantenjungen zu. Mit einem schnellen Manöver schafft es Xenos‘ Kobold jedoch, den Schlag abzufangen, und wird vernichtet. Es gibt erneut eine Explosion, ausgehend vom Kobold, und Nekomaru macht einen abwehrenden Satz zurück. Währenddessen erlangt Xenos all seine Kraft wieder. Sie ist stärker als jemals zuvor. Er hat Probleme sie zu bändigen. Der Junge kämpft um die Kontrolle seiner übermächtigen Kräfte und ist dabei wie paralysiert.
„Eine äußerst starke Kraft ist in dir“, spricht Nekomaru zu seinem Gegner. „Doch sie bringt dir nichts, solange du sie nicht kontrollieren kannst. Sie wird deine Seele zerstören und ihr volles Potential entfalten. Soweit will ich es lieber gar nicht erst kommen lassen.“
Der blondhaarige Junge greift erneut an. Mit einem einzigen Schnitt seiner Sense quer durch den Körper will er es beenden. Entgegen aller Erwartungen schafft es Xenos jedoch, seine Totenform zu meistern, und weicht Nekomarus Attacke im letzten Augenblick aus.
Mit seiner bösen und doch noch kindlichen Stimme kontert er: „Jetzt werde ich es beenden! Wenn du ein Dämon bist, wird dir mein folgender Angriff nichts anhaben. Da du aber ein Mensch bist, wirst du sterben. Totenberührung!“
Ein grün-schwarzer Flammenball schießt auf den blonden Jungen zu. Er weicht ihm aus. Beide Seiten verharren.
„Was ist los?“, will Xenos wissen. „Glaubst du etwa doch nicht an dein eigenes Märchen?“
„Doch! Ich bin kein Menschenabschaum! Aber ich traue dir nicht. Ich lasse mich sicher nicht freiwillig von einem deiner mir unbekannten Zauber treffen“, erwidert Nekomaru gereizt.
„Nun gut, dann weich doch aus! Irgendwann treffe ich dich schon!“
Xenos schleudert unaufhörlich seine todbringenden Flammen nach dem Jungen. Erfolgreich schafft es Nekomaru, jedem von ihnen auszuweichen. Er ist schnell und geschickt. Der Junge weiß, was er tut. Er springt von Haus zu Haus und bahnt sich seinen Weg näher zu Xenos. Nur so kann er einen eigenen Angriff starten. Mit einem Satz springt er schließlich auf Xenos zu. Ein letzter Flammenball rast ihm entgegen. Mit der Sense schneidet er ihn entzwei. Die beiden Hälften rasen an ihm vorbei und schlagen in die Häuser ein. Dass so etwas möglich ist, hätte Xenos nicht gedacht. Jetzt hat der Blonde freie Bahn. Nekomaru holt erneut aus, doch unmittelbar vor Xenos ruft dieser seine tausend Explosionen.
„Milia flatulentarum pulverem grana.“
Wiedermal wird Nekomaru zurückgeschleudert. Seine Kleidung ist komplett zerrissen und sein Körper weist zahlreiche Brandwunden auf. Die aufgewirbelte Staubwolke verzieht sich und Xenos steht mit nur einigen kleinen Kratzern nach wie vor am selben Ort.
„Milia flatulentarum pulverem grana.“
Erneut gibt es unzählige Explosionen direkt um Nekomaru. Das Haus neben ihm stürzt zusammen. Neben den Explosionen muss er den herabfallenden Trümmern entkommen. Erneut erleidet er zahlreiche kleinere Verletzungen.
Erschöpft spricht er: „Diese Energie. Sie ist zu stark.“
Ohne auf Nekomaru einzugehen, greift Xenos weiter rücksichtslos an.
Er streckt seine Arme aus: „Grab der Toten.“
Ein riesiges Areal verwandelt sich in eine Art gewaltigen Strudel aus Treibsand. Die umliegenden Häuserruinen beginnen zu wanken und werden langsam unter die Erde gezogen. Nekomaru rettet sich in eines der Häuser und klettert schnell hinauf auf das Dach. Immer weiter sinkt es ein. Er sieht keinen Ausweg. Sobald er den Boden berührt, ist es vorbei für ihn.
Der Junge schreit vom Haus hinab zu Xenos: „Du denkst wohl, ich würde jetzt aufgeben und um Vergebung betteln? Niemals!“
Xenos wendet sich ihm zu und spricht mit finsterer Stimme: „Du brauchst nicht aufgeben und um Vergebung winseln. Ich werde dich nämlich so oder so töten. Ich werde dich nicht mehr entkommen lassen. Nun werde ich mich an deinem Leid erfreuen können. Also stirb einfach, fehlgeleiteter Abschaum!“
Nekomaru weicht vom Dachrand zurück. Er ist schockiert von den Worten des Nekromanten. Der Junge schaut sich um. In der Ferne entdeckt er, dass Heres‘ Horden langsam in Richtung des Kampffeldes trotten. Sie haben die Tore durchbrochen und werden wohl von den lauten Kampfgeräuschen hierher gelockt. Er muss nur noch kurze Zeit durchhalten.
Unterdessen versinkt das Haus immer weiter. Xenos steht regungslos im Zentrum des Strudels und wartet nur noch darauf, dass Nekomaru endlich von diesem verschlungen wird. Plötzlich bemerkt auch er die herannahenden Kreaturen. Er erblickt sie am Rand des Strudels. Die meisten von ihnen bleiben stehen, doch einige kommen weiter auf ihn zu und versinken unter entsetzlichem Geschrei und Gestöhne im Boden.
„Kommt doch und helft mir“, befiehlt Nekomaru ihnen.
Xenos lacht: „Du siehst doch, was mit ihnen passiert, wenn sie hierher kommen wollen. Niemand wird dich mehr retten!“
Der schwarzhaarige Junge konzentriert sich und erhöht den Radius seines Grabes der Toten um einige Meter. Den Kreaturen wird der Boden unter den Füßen regelrecht weggerissen und sie verschwinden im Unbekannten.
„Seine Kraft ist immens“, wird Nekomaru bewusst. „Einen so gewaltigen Zauber so lange aufrechterhalten zu können ist quasi unmöglich. Seine Energie scheint unendlich zu sein. Wie konnte er in so kurzer Zeit nur soviel stärker werden?“
Nicht mal mehr ein Meter trennt Nekomaru nun vom Boden, als plötzlich ein Kobold aus der Menge aufsteigt und zum blonden Jungen herüberfliegt. Er packt das Kind am Rücken und hebt es in die Luft. Kurz darauf ist das Haus komplett im Erdboden versunken. Nekomaru ist erleichtert.
Zornig beobachtet Xenos diesen Moment: „Nein! Das kann nicht sein! Komm zurück.“
Hoch oben kann sich Nekomaru ein Grinsen nicht verkneifen. Vom Boden betrachtet sieht es aus, als hätte der Junge selbst schaurig schwarze Dämonenflügel auf dem Rücken. Plötzlich klappen seine Schwingen ein und Nekomaru rast aus der Luft auf Xenos zu. Schwert und Sense schlagen aneinander. Noch bevor Xenos zum Gegenschlag ausholen kann, gewinnt Nekomaru schon wieder an Höhe und ist außerhalb seiner Reichweite. Ein ungleicher Kampf.
„Apparis flatulentarum servus cobolorum.“
Erneut beschwört Xenos einen Kobold. Dieser klammert sich nun, wie bei Nekomaru, ebenfalls an Xenos‘ Rücken fest und hebt ihn in die Luft. Mit schnellen Flugmanövern attackieren sie sich nun über der Stadt. Immer wieder hört man die Waffen aneinanderprallen. Schließlich schafft Xenos es, hinter seinen Kontrahenten zu gelangen. Mit seinem Schwert fügt er dem Kobold auf dessen Rücken einen tiefen Schnitt zu. Nekomaru verliert an Höhe.
„Reiß dich zusammen!“, befiehlt er seinem Kobold. „Wenn wir abstürzen, ist es vorbei!“ Der Diener des Bösen hört auf die Worte des Jungen. Er trotzt seinen Verletzungen und steigt langsam wieder auf. Erneut kommt es zu einem eindrucksvollen Himmelsgefecht. Doch erneut gelangt Xenos hinter Nekomaru und holt aus. In diesem Moment zieht die geschwächte Kreatur mit aller Kraft nach oben. Sie macht mit Nekomaru einen Überschlag. Nun befinden sie sich hinter dem verrückten Nekromanten. Mit seiner Sense tötet Nekomaru Xenos‘ Kobold. In diesem Moment weiten sich die Augen des Schwarzhaarigen und er versucht, den Griff des Koboldes um sich zu lösen. Doch es ist zu spät. Sein Diener explodiert, direkt auf dem Rücken des Jungen.
Der Strudel des Grabes der Toten stoppt sofort. Es herrscht Stille. Die widerwärtigen Kreaturen am Rand bleiben weiterhin stehen. Nekomaru verharrt in der Luft. Xenos fällt ungebremst zu Boden. Sein Aufschlag ist hart. Regungslos liegt er am Boden. Sein Körper ist blutverschmiert, die Kleidung getränkt und auf dem Boden bildet sich eine dunkle Lache. Leichtfüßig landet Nekomaru vor ihm und sein Kobold lässt von ihm ab. Zufrieden nähert er sich dem schwer verwundeten Xenos und setzt die Spitze seiner Sense an dessen Brust.
„Gewonnen“, lächelt er zufrieden.
Xenos fällt das Atmen schwer. Er kann seine Gliedmaßen nicht mehr spüren. Sein gesamter Rücken brennt wie Feuer. Jeder Atemzug fühlt sich an wie unzählige Nadeln, die in seine Lungen stechen. Sein kompletter Mundraum füllt sich mit dem Geschmack von Blut. Die Sicht des Jungen wird zunehmend verschwommener und dunkler. Geradeso erkennt er noch den über ihm thronenden Nekomaru und dessen schadenfrohes Lächeln, welches sich zu einem schaurigen Kichern steigert und schließlich in einem lauten, angsteinflößenden, kranken Lachen gipfelt.
„Hier kommen die verdienten Qualen“, säuselt Nekomaru.
Der kleine Junge baut Druck auf und die Sensenspitze dringt langsam in Xenos‘ Körper. Der Schmerz wird immer stärker. Immer schwärzer wird seine Sicht.
„Ist das mein Ende?“, fragt sich Xenos vor seinem geistigen Auge. „Besiegt von einem verrückten, fanatischen Jungen?“
Der schwarzhaarige Junge hustet. Das Blut rinnt seine Wangen hinab.
„Hier endet meine Reise. Es tut mir leid, Ayame, Mama, Papa. Bevor ich in den Fängen dieser Dämonen ende und für immer Leid und Qual ertragen muss, möchte ich sterben. Meine Wunden sind tief. Ich akzeptiere meinen Tod. Ich habe versagt. Möge jemand anderes meine schwere Bürde besser tragen als ich. Möge jemand anderes unsere Welt beschützen.“
Xenos schließt seine Augen. Plötzlich nimmt er ein gleißendes Licht wahr, der Schmerz in seiner Brust verschwindet. Dann setzen alle seine Sinne aus.
„Das Licht. Ist es das, was man sieht, wenn man stirbt? Ist es das, was nun für mich bestimmt ist?“
In den ihm verbliebenen Gedanken bewegt er sich auf das Licht zu. Die Umrisse eines Mädchens sind zu sehen. Es ist Ayame. Sie streckt ihm ihre Hand entgegen. Zögerlich nimmt Xenos sie.
„Willkommen zuhause, Bruder“, sagt sie mit ruhiger, leicht hallender Stimme und zieht ihn zu sich.
Geschrieben von: | Mika |
Idee von: | Mika |
Korrekturgelesen von: | May |
Veröffentlicht am: | 15.05.2016 |
Zuletzt bearbeitet: | 25.12.2019 |