Kapitel 20 – Die Waffe, die sie richtet

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Das Rubinschwert liegt direkt vor Xenos. Eingepasst in den Sargdeckel, welcher den schlafenden Seyden von Trinistad zeigt. Der junge Nekromant ist überwältigt von der Machart, der Schönheit und den Details, die dieses Grab in steinhauerischer Meisterleistung darstellen. Es übt auf ihn eine magische Faszination aus. Dabei vergisst er ganz, dass für diese Bewunderung aktuell keine Zeit bleibt. Hieran wird er von Nekomaru erinnert, der ihm von rechts über die Schultern schaut.

„Die haben das Schwert einfach nur da hingelegt? Sie hätten es ja zumindest in die Kiste reinlegen können“, wirft er plump und jenseits jeglicher Pietät in den Raum.

„Machst du dir Sorgen, dass es entwendet wird?“, erfüllt eine geisterhafte Kinderstimme mit starkem Hall die kleine Gruft.

„Nicht wirklich, Yuki“, antwortet Nekomaru.

Der kleine Geisterjunge, der selbst wiederum links neben Xenos auf das Schwert blickt, entgegnet: „Ich habe nichts gesagt.“

Ruckartig drehen sich alle drei gleichzeitig um. Im Zentrum der kleinen Gruft steht der Geist von Seyden. Er sieht seinen Statuen verblüffend ähnlich. Vom Pelzmantel über Wolltunika, Waffengürtel und Lederschultern bis hin zu seinen feinen, weichen Gesichtszügen. Ein uneindeutiges leichtes Lächeln lässt seine schmalen, transparent blauen Lippen erahnen.

„Ihr werdet mein Schwert nicht bekommen“, fügt der Geist an. „Niemand wird das.“

„Was ist, wenn ich es mir einfach nehme?“, fragt Nekomaru provozierend und deutet an, nach der Waffe zu greifen.

Seyden unternimmt nichts. Die Hand des blonden Jungen verharrt über dem Schwert. Eine gewisse Anspannung liegt in der Luft. Xenos‘ Blick wandert zwischen beiden hin und her. Dann greift er nach Nekomarus Hand und drückt diese vorsichtig zur Seite.
Er wendet sich zum jüngeren Seyden: „Mein Name ist Xenos Nebraa, neuer Fürst des Tals. Ich folge Eurem Pfad und möchte dessen Bewohner schützen. Doch dafür brauche ich Euer Schwert. Würdet Ihr, Fürst Seyden von Trinistad, ehemaliger Beschützer dieses Landes, mir erlauben es zu führen?“

Der Geist des Neunjährigen schmunzelt verlegen: „Hör auf, mit mir so höfisch zu sprechen. Wir sind unter uns. Hier, in einem alten modrigen Keller und nicht in den hohen Hallen eines Schlosses.“

Die Anspannung verfliegt. Xenos wird leicht verlegen. Er hatte erwartet, dass sein Gegenüber von ihm genau diese Worte hören möchte.

„Ich habe bereits an deinem Gewand erkannt, dass du zum Fürstenhaus Nebraa gehörst“, fügt Seyden wohlwollend an. „Wobei ich dachte, dass ihr auch nicht mehr die Herrscher über das Tal seid.“

„Eine lange Geschichte“, versucht Xenos abzukürzen. „Meine Familie regiert erst seit kurzem wieder die Region. Ich würde dir gern ausführlicher berichten, doch wir haben es eilig. Wir brauchen das Rubinschwert.“

Der kleine Junge seufzt: „Wie schade. Ich hätte gern mehr von der Welt dort oben erfahren. Alles, was ich in den letzten fünfhundert Jahren mitbekommen habe, habe ich aus den Gesprächsfetzen von Besuchern der Rotburg erfahren. Aber gut, ihr seid nicht wegen mir hier, sondern wegen des Schwertes. Ich muss euch jedoch enttäuschen. Ihr dürft es nicht nehmen.“

„Warum?“, platzt es aus Nekomaru heraus.

„Ich bewache das einstige Schwert meiner Familie. Es ist nun mit böser Energie erfüllt und soll nicht noch mehr Leid über die Bewohner Atra-Regnums bringen.“

Yuki tritt einen Schritt vor: „Aber es hat dein Tal gerettet. Nur so konnte der Krieg gewonnen werden. Es dient einzig der Verteidigung seiner Bewohner.“

„Sicher, das Tal wurde gerettet. Doch zu welchem Preis?“, Seydens Stimme hallt plötzlich erbost durch die Gruft. „Das Schwert meiner Familie wurde geschändet! Ein grässliches Mal der Verbrüderung mit der schrecklichen Dämonenfürstin des Blutes liegt auf ihm. Für den scheinbaren Frieden hat man mich ermordet, meine Seele an ihre furchtbare Eminenz verschenkt. Und das nicht genug. All die Seelen der durch den Blutfluch qualvoll dahingerafften Feinde hat sich diese Dämonin ebenso gesichert. Eine solche Versklavung bis in die Ewigkeit wünsche ich niemandem. Nicht einmal diesen verdammten Dunkelelfen, die meine Familie auf dem Gewissen haben.“

Beschwichtigend hebt Xenos die Hände: „Ich spüre deinen Hass auf Sangra, die Dämonenfürstin des Blutes. Zu gut kann ich ihn nachvollziehen.“

„Kannst du nicht!“, erbebt die Gruft unter dem Hall von Seydens Stimme, bevor sie sich zu einem nahezu geflüsterten Säuseln mäßigt. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, verraten zu werden von jemandem, dem du helfen wolltest. Hilflos, ohne jegliche Hoffnung auf Rettung in einem Erdloch unter der Erde mit deinem Peiniger gefangen zu sein. Er quält dich, foltert dich, führt ein abartiges Ritual durch. Dabei schneidet er dich wieder und wieder mit deiner eigenen Waffe. Er ergötzt sich am Blut, welches Schwall für Schwall aus deinen Adern rinnt, genießt deine höllischen Schmerzensschreie, dein Weinen, dein Flehen. Doch er macht weiter, hält dich bei Bewusstsein, an der Schwelle des Todes, während er dir mit einem Lächeln im Gesicht die Gliedmaßen abtrennt. Irgendwann bist du endlich erlöst. Für einen Moment spürst du nichts. Du willst aufatmen. Doch dann wirst du in die Finsternis gezogen. An einen Ort, der noch schlimmer ist als der, von dem du kommst. Mit Kreaturen, die du dir nie ausgemalt hast. Die dich weiter quälen, über ein Maß hinaus, das mich mich zu meinem Todeskampf zurückwünschen lässt. Ohne Aussicht jemals zu enden.“

Xenos verstummt. Der Junge versucht zu schlucken, doch weigert sich sein Körper. Yuki, der selbst ein schlimmes Schicksal auf dem Scheiterhaufen erlitten hat, beginnt zu weinen. Lediglich Nekomaru, lange verdorben durch eben jene dämonischen Quellen, verharrt unberührt, unterdrückt seine durch Seydens Beschreibungen geweckten sadistischen Gedanken und Gefühle.

Betroffen senkt Xenos den Kopf: „Du hast recht. Ich kann mir nicht vorstellen, was du erlitten hast und was dieses Schwert seine Opfer erleiden lässt. Doch ich kann versuchen deine Ansichten nachzuvollziehen. Auch ich wurde Opfer, wurde gequält von Anhängern der Dämonenfürsten Sangra und Gahl. Während meiner Folter wünschte ich mir nichts mehr als gerettet zu werden. Und als die Hoffnung schwand, flehte ich nur noch um Erlösung. Ich hatte Glück und habe überlebt. Dennoch wünsche ich niemandem, diese Torturen durchstehen zu müssen. So ist es auch bei dir. Das Rubinschwert bedeutet ewige Qualen. Egal ob Freund oder Feind, du möchtest sie niemandem zumuten.“

Seyden wendet seinen Blick ab und schaut zur Seite auf den staubigen Boden der alten Gruft: „Dann verstehst du, dass ich euch das Schwert nicht aushändigen werde.“

Xenos nickt.

„Dann geben wir auf?“, fragt Nekomaru vorwurfsvoll. „Wir sehen zu, wie das Blutquelltal ein weiterer schwarzer Fleck auf der Landkarte wird? Überlassen alle ihrem Schicksal, das wohl auch nicht besser wird als das, was Seyden erlebt hat. Und glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.“

Der Blick des Nekromanten schnellt zu seinem vorlauten Begleiter: „Hör auf Nekomaru. Das Rubinschwert hätte uns einen schnellen Sieg bringen können, hätte Opfer vermieden. Es nicht zu haben, bedeutet jedoch nicht unsere Niederlage. Wir kehren zurück zu Ruben, vereinen unsere Kräfte und erarbeiten einen neuen Plan.“

„Warum redest du so?“, reißt der Blonde fassungslos seine Arme nach oben. „Das Schwert liegt direkt vor uns und es bringt uns einen entscheidenden Vorteil. Wenn Seyden es uns nicht freiwillig gibt, nehmen wir es uns trotzdem.“

Langsam wandern Seydens Augen hinüber zu Nekomaru.

Dieser drückt seinen Finger auf Xenos‘ Brust: „Der Xenos, den ich kenne, verpasst diese eindeutige Gelegenheit nicht. Er ist auf seinen Vorteil bedacht, hat seine Ziele fest vor Augen und würde alles dafür tun. Die Hürde hier ist so klein!“

Mit festem Griff packt Xenos Nekomarus Schultern und wird laut: „Der Nekomaru, den ich kannte, war ein widerlicher, kleiner Bastard. Er stand den Dämonen in nichts nach, hat ohne zu zögern gequält und gemordet. War eine Gefahr für die Allgemeinheit. Man hätte ihn auf der Stelle hinrichten müssen. Wo ist er hin? Wo? Du hast dich verändert! Wir wachsen an unseren Aufgaben, wir lernen und entwickeln uns weiter. Du, ich und alle anderen. Ich will nicht, dass du wieder so wirst, wie der Nekomaru, den ich kannte. Ich bin froh, dass du dabei bist, ein anderer zu werden. Den Nekomaru, den ich kannte, habe ich gehasst. Der Nekomaru, den ich jetzt kenne, ist mein Freund.“

Nekomarus Mund steht offen. Kein Wort dringt über seine Lippen. Er ist überwältigt von den Worten seines Gegenübers. In seinem Kopf versucht er einen Satz zu bilden, eine Antwort, die ihm angemessen erscheint. Doch bevor er sie findet, schallt Dianas gehetzte Stimme die steile Treppe hinunter in die Gruft. Die wiedererweckte Frau sollte bei der Bergung der Verschütteten im Dorf von Rotburg helfen. Nun steht sie oben in der alten Burgruine.

Sie ruft mit Panik hinunter in die Krypta: „Xenos? Nekomaru? Seid ihr da? Die Dämonen! Sie kommen. Und Sangra ist bei ihnen. Wir müssen fliehen!“

Einen Moment ist es totenstill in der Grabkammer. Die vier Kinder schauen zwischen sich hin und her. Xenos und Nekomaru lassen einander los. Sie blicken sich noch einmal in die Augen. Dann laufen sie an Seyden vorbei hinüber zur Treppe und hinaus aus der Gruft. Kein Blick fällt zurück auf das Rubinschwert. Yukis Tränen sind versiegt. Panik bringen seine verweinten Augen zum Ausdruck. Dann läuft er zu den beiden hinüber. Seyden dreht sich zu ihnen um.

Xenos hebt die Hand zum Abschied: „Wir müssen los. Tut uns leid, dass wir dir Ärger bereitet haben.“

Der Geisterjunge nickt. Sein Gesicht wird nachdenklich, als sich die drei Kinder zum Gehen umdrehen. Sie sprinten die Treppe hinauf. Noch bevor Seyden sie verschwinden sieht, erhebt er seine Stimme.

„Xenos, warte!“, ruft er ihnen nach.

Der Nekromant dreht sich um, geht wieder zwei Stufen hinunter, um dem Jungen in die Augen zu sehen.

Seyden streckt seine Hand nach vorne: „Nehmt das Rubinschwert.“

Langsam folgt Xenos den Stufen wieder hinab auf den Jungen zu: „Bist du dir sicher?“

„Nein“, antwortet Seyden. „Ich weiß nicht genau, was dort draußen in der Welt vor sich geht. Doch wie es scheint, könnt ihr das Schwert wirklich gebrauchen. Es sind Dämonen, die das Tal angreifen, nicht wahr? Sangra selbst ist der Feind.“

Xenos nickt bedächtig, als er nach Seydens Hand greift. Ihre Hände umschließen sich zu einem kaum spürbaren Händedruck. Doch Xenos fühlt sich mit dem Geist verbunden, er spürt die Emotionen des Jüngeren. Er spürt seine Aufregung, sein Leiden, seine Zweifel, seine Angst vor der Ungewissheit seiner Entscheidung und seine Wut. Aber er spürt auch die Aufrichtigkeit und die Wärme seines Herzens, die der kleine Junge, trotz allem, was ihm widerfahren ist, nie verloren hat.

Seyden macht einen Schritt zur Seite, lässt Xenos hindurch zum Schwert auf seinem Sarg. Ehrfürchtig nähert sich der Nekromant und greift behutsam nach dem verfluchten Artefakt. Er nimmt es auf. Der güldene Griff ist eisig kalt. Das Gewicht erstaunlich gering. Er dreht sich wieder zum Geisterjungen, um sich zu bedanken. Doch Seyden ist verschwunden.

„Ich werde dir das Schwert zurückbringen“, verspricht Xenos, bevor er schnellen Fußes, gefolgt von den anderen die alte Treppe hinauf sprintet.

Diana wartet bereits vor dem Eigang zur Krypta . Mit Furcht in den Augen schaut sie sich um. Sie blickt zurück durch den roten Torbogen, durch den sie kam. Nur noch hüfthoch ist das Mauerwerk zu beiden Seiten, bevor zwei Turmruinen sich anschließen. Während vom rechten Turm lediglich eine Grundmauer zu erahnen ist, besitzt der linke zumindest noch ein Obergeschoss. Die eingezogenen dicken Holzdielen sind jedoch auch bereits von Wind und Wetter zerfressen. Sie sind schon lange ungeschützt den Elementen preisgegeben. Der komplette Rest des Turmes fehlt. Seine Höhe ist nur noch am schräg gegenüberliegenden Wehrturm zu erahnen. Unweit der steilen Abbruchkante ragt ein noch nahezu intakter Turm empor. Zumindest die Außenmauer erweckt diesen Anschein. Blickt man durch die kleine Pforte ins Innere, sieht man einen gewaltigen Berg an Schutt und geborstenem Holz. Die einzelnen Etagen müssen bereits in sich zusammengefallen sein.

Schließlich erreichen die Jungen wieder den Burghof. So schnell sie konnten, sind sie hinauf gesprintet. Als sie das kleine, aus schwarzem Stein gebaute Kryptagebäude verlassen, können sie die Nähe zu den Dämonen bereits spüren. Die Luft ist dick, erfüllt von widerwärtigem Gestank und Fäulnis begünstigender Feuchte. Durch den wolkenverhangenen Himmel bricht fahles, unheimliches Mondlicht. Es spiegelt sich im Rubinschwert, welches Xenos andächtig dreht, um den Schein zu lenken.

„Wir müssen nur einen Dämonen besiegen, Xenos“, versucht Nekomaru seinen Freund wieder auf das Ziel zu fokussieren. „Einen Dämon und der Fluch entfaltet seine Wirkung. Sangras Armee ist gezwungen das Blutquelltal zu verlassen und sie kann nie wieder zurückkehren.“

Der im Schwert gebündelte Lichtstrahl blitzt durch den Torbogen. Im selben Augenblick bemerken sie die Bewegungen auf der anderen Seite. Den Hügel hinauf kommt sie, die Horde der Dämonen. Gekommen, um sich auch dieses Tal einzuverleiben, wie sie es schon mit so vielen Regionen Atra-Regnums getan haben. Gekommen, um Ayame zu holen. Beides werden die Jungen nicht zulassen. Doch es beruhigt sie zu wissen, dass, selbst wenn sie scheitern, die Feinde zumindest Ayame nicht bekommen werden.

Der Nekromant blickt zu Yuki und Diana: „Ihr könnt gehen. Der Kampf wird schnell vorbei sein.“

Der kleine Geisterjunge verblasst. Unter Diana bildet sich schlammiger Morast. Langsam beginnt die untote Frau zu versinken. Sie lässt es geschehen, weiß, dass sie hier nicht mehr viel ausrichten kann. Währenddessen nimmt Nekomaru Kampfposition ein. In seinen Händen lässt er die Dämonensense erscheinen.

„Nur ein Hieb und es endet hier und jetzt“, bestärkt Xenos sich und den Blondhaarigen noch einmal, während er das Rubinschwert hebt.

Plötzlich löst sich das Gedränge der herannahenden Dämonen. Es spaltet sich entzwei, gibt einen schmalen Pfad frei. Sie machen Platz für ihre Gebieterin, Dämonenfürstin Sangra. Mit schwingenden Hüften und schnellem Schritt bahnt sie sich ihren Weg. Ihr blutrotes Gewand weht zurück. Ihr finsterer Blick ist fixiert auf die beiden Kinder. Vor dem Torbogen bleibt sie schließlich stehen. Hinter ihr lechzt die Horde aus grässlichen Dämonen. Mit ausgestreckter Hand hält sie sie zurück.

Eindringlich schaut sie auf den blondhaarigen Dämonenjungen: „So sehen wir uns wieder.“

„Ein Treffer“, flüstert Nekomaru zu Xenos.

Erneut blitzt der Mondschein, reflektiert vom Rubinschwert, durch das Tor. Er trifft die Dämonenfürstin des Blutes, blendet sie für einen Augenblick.

Sangra lacht gehässig: „Meine eigene Waffe. Mein eigener Fluch. Damit wollt ihr mich aufhalten? Törichte Kinder. Meint ihr wirklich, dass mein Fluch mich selbst treffen könnte? Ich bin eines der stärksten Wesen, die jemals existiert haben!“

Die Jungen bleiben standhaft, entschlossen, alles zu geben.

„Wie süß ihr Menschen doch sein könnt“, spricht sie mitleidig. „Ihr glaubt immer an euch. Denkt, euer Mut macht euch stärker. Realisiert die aussichtslose Lage erst, wenn es zu spät ist. Um euch das zu verdeutlichen, werde ich allein gegen euch kämpfen. Ich brauche keinen einzigen meiner Dämonen, um mit euch fertigzuwerden.“

Mit schrillem Lachen passiert sie den alten Torbogen und betritt den Burghof.

„Nur du gegen uns?“, hebt Nekomaru eine Augenbraue.

„Nur ich gegen euch“, grinst Sangra hämisch. „Eine Dämonenfürstin steht zu ihrem Wort.“

„Solange es ihr einen Vorteil verschafft“, murmelt der Junge.

„Seid ihr einverstanden?“

Die Jungen nicken.

Sofort beginnt der Boden unter ihnen zu beben. Als er aufreißt, sprinten die beiden Kinder zur Seite. Schon schießt eine Fontäne aus reinem Blut gen Himmel. Sangra lacht, als die beiden von verschiedenen Seiten auf sie zustürmen. Gleichzeitig schwingen sie ihre Waffen nach der Fürstin. Wie ein mit Wasser gefüllter Ballon zerreißt ihr Körper, als die Kinder sie treffen. Ein Schwall aus Blut ergießt sich zu Boden. Die Blutfontäne stoppt und aus jener Quelle tritt Sangra unbeschadet hervor.

„Ihr könnt nicht gewinnen. Nicht gegen eine Fürstin des Totenreiches!“

Blitzschnell streckt sie ihnen ihre Hände entgegen und spreizt ihre Finger. Das in die Luft geschleuderte Blut der Fontäne zerstäubt sich zu feinen Tropfen. Sie gefrieren zu nadelgleichen Eissplittern und rasen den Jungen entgegen. Nekomaru stellt sich vor Xenos, beginnt seine Sense zu drehen, so schnell er kann. Wie ein Schild zerstört die Waffe die meisten Splitter. Nur wenige schaffen es hindurch, treffen die beiden und schlitzen wie Rasiermesser durch Kleidung und Haut. Die Wunden brennen wie Feuer, doch sie bleiben standhaft. Sie kämpfen sich durch den Eisregen vor. Sangra weicht zurück. Als ihr Angriff schließlich endet, stürmen sie voran. Doch mit Leichtigkeit blockt die Dämonin Nekomarus Sense ab. Auch Xenos‘ Hieb trifft nicht. Noch bevor das Schwert sie erreicht, tritt die Blutfürstin ihn in den Bauch und schleudert ihn über den Burghof bis zum Tor. Die Dämonen auf der anderen Seite lechzen nach seinem Fleisch, halten sich jedoch an die Anweisung ihrer Meisterin.

Währenddessen schwingt Nekomaru erneut seine Sense. So schnell hat Sangra nicht mit einem weiteren Angriff gerechnet. Knapp schafft sie es, zur Seite auszuweichen. Doch Nekomaru lässt nicht von ihr ab. Er drängt sie weiter zurück, bis sie mit dem Rücken fast an die Fassade des großen Turmes gedrängt wird. Ihr Blick wird zorniger und zorniger mit jedem Hieb, den der Blondhaarige ihr entgegensetzt. Der Arm der Frau umschließt sich mit Blut. Er wird länger, bis er einer langen tentakelartigen Peitsche gleicht. Sie umschlingt Nekomarus Hüfte und schleudert ihn voller Wut von sich weg. Der Junge fliegt über den Platz und knallt gegen die gemauerte Krypta im Zentrum. Der gewaltige Schwung lässt ihn durch das Mauerwerk hindurchbrechen und im Inneren die Treppe hinunterstürzen.

In diesem Moment sieht Xenos eine günstige Gelegenheit: „Milia flatulentarum pulverem grana.“

Aus dem Schutt im hohen Turm hinter Sangra steigt Staub auf. Es ist kaum zu bemerken, wenn man nicht durch die kleine Pforte hineinschaut. So weiß auch Sangra nicht, was ihr geschieht, als plötzlich unzählige Explosionen den Turm in Stücke sprengen. Die Steine des Mauerwerkes fliegen wie Geschosse in alle Richtungen auseinander. Während Xenos hinter dem Torbogen Schutz suchen kann, wird Sangra voll getroffen. Ihr Rückgrat knackt, ihre linke Hand wird von den Trümmern förmlich abgerissen, ihre Schulter ausgekugelt und ihr Kiefer gebrochen.

„Du kleine Mistkröte!“, schreit sie, während sie ihren schmerzenden Kiefer hält.

Xenos versteckt sich weiter hinter dem Torbogen. Dabei schaut er den lechzenden Dämonen direkt in ihre fürchterlichen, blutüberströmten Visagen. Nur noch eine Armlänge von ihm entfernt dürsten sie nach dem Kind. Doch sie dürfen nicht eingreifen. Es ist ein Duell zwischen ihrer Meisterin und den beiden Jungen. Und tatsächlich hält sich Sangra an ihr Wort. Xenos ist im Angesicht des Feindes nicht in Gefahr. Ein Duell ist ein Kampf mit Ehre. Die Ehre verpflichtet die Duellanten, sich an abgesprochene Regeln zu halten. Doch Ehre ist etwas, was sich Dämonen normalerweise zweifelsfrei absprechen lassen. Ehre und Moral sind ein Konzept der Lebenden. Warum handelt Sangra also ehrenhaft? Nur um Xenos und Nekomaru an ihre Ehre und Moral zu binden? Dann vergisst sie eines. Ehre und Moral sind flexibel. Gerade für Xenos und Nekomaru.

Direkt vor dem jungen Nekromanten steht der Feind. Das Rubinschwert ist in seiner Hand. Ein kurzer Stich genau in diesem Moment und all das hätte ein Ende. Sie hätten gewonnen. Sein Gedankengang ist noch nicht einmal beendet, da steckt das Rubinschwert bereits im Bauch des vor ihm stehenden Wolfsdämons. Die Kreatur beginnt zu gurgeln. In diesen furchbar anmutenden Gesang stimmt die gesamte Horde ein.

„Ehre bedeutet mir nichts im Angesicht des größeren Wohles.“

„Nein!“ schreit Sangra wutentbrannt, als sie sieht, was geschieht.

Aus Mündern und Augen ihrer Truppen beginnt unaufhörlich Blut zu fließen. Sie husten und röcheln, während sich ihre Hautporen weiten. Auch aus diesen beginnt das dämonische Blut zu quellen. Die Erde und das Gras zu ihren Füßen werden Schwall für Schwall röter. Ein einziger Teppich, der langsam zu gerinnen beginnt, bedeckt die Umgebung. Blutleer gehen die furchtbaren Monster zu Boden. Eingefallene Gesichter, verdorrte Körper. Keiner von ihnen entkommt dem Jahrhunderte alten Fluch, den ihre Heerführerin selbst geschaffen hat.

„Achtung!“, hört Xenos Nekomaru schreien.

Sofort wird der Nekromant wieder in die Kampfsituation gezogen. Er schaut um das Tor in den Hof und sieht Sangra direkt vor sich stehen. In ihrer Hand eine aus tropfendem Blut geformte, säbelförmige Klinge. Waagerecht schwingt sie diese nach Xenos. Im letzten Augenblick lässt er sich zu Boden fallen, um auszuweichen und robbt zwischen ihren Beinen hindurch. Die dämonische Klinge trifft den alten Torbogen, doch statt abzuprallen schneidet sie durch das massive Mauerwerk, als bestünde es aus Speck.

Den missglückten Angriff nutzt Xenos, um mit dem Rubinschwert von hinten zuzustechen. Doch Sangra lässt sich nach vorn fallen. Blitzschnell wendet sie sich und lässt ihren Blutsäbel auf den am Boden liegenden Xenos niedergehen. Mit einer Rolle zur Seite entgeht der Schwarzhaarige der Klinge. Sangra schreit auf, zieht die Klinge aus dem Erdreich und setzt erneut zum Angriff an. Doch dieser wird von Nekomarus Sensenklinge blockiert, die sich in ihr auf Xenos fokussiertes Blickfeld drängt. Als die magische Waffe gegen das Sensenblatt prallt, verliert sie ihre Form. Ein Schwall aus Blut fällt auf Xenos nieder, bedeckt sein Gesicht und seine Brust.

„Captando nectens“, spricht der Junge, während er sich über die Augen wischt.

Dornenranken brechen aus dem Boden und beginnen Sangra zu umschließen. Das gibt den Jungen die Chance, wieder Abstand aufzubauen, um sich neu zu sammeln. Doch lange bleibt die Dämonenfürstin nicht gefesselt. Scheinbar mühelos reißt sie Ranke um Ranke von ihrem Körper.

„Ich werde das ganze Tal in Schutt und Asche legen!“, flucht sie den Kindern entgegen. „Eure ganze verdammte Welt soll brennen! Wie könnt ihr es wagen, meine eigene Waffe gegen mich zu richten?“

Xenos und Nekomaru gehen erneut in Kampfposition. In Sangras Augen flammt unendliche Wut.

„Ihr habt keine Chance gegen uns Dämonenfürsten. Eure Überheblichkeit macht mich krank! Ihr wolltet es so. Das Spiel ist vorbei.“

Sangra streckt ihre Hand nach vorn und ballt sie zur Faust. Sofort beginnt Xenos zu keuchen. Sein Körper krampft, als jede seiner Venen sich klar auf seiner Haut abzuzeichnen beginnt. Das Rubinschwert fällt zu Boden. Mit ihm sinkt Xenos auf die Knie. Sein Gesicht wird weiß, die Lippen blau, er ringt nach Luft.

„Xenos!“, reagiert Nekomaru schockiert und wendet sich ihm zu.

Der Blondhaarige mustert ihn genau, weiß jedoch nicht, wie er seinem Freund helfen soll. Schließlich schaut er auf das Rubinschwert. Seinse Sense verschwindet, als er nach der Waffe greift. Sein Blick schnellt zu Sangra. Schon sprintet der Junge los. Die Blutfürstin streckt ihre zweite Hand aus. Doch noch bevor sie ihn ins Visier nehmen kann, steht der Junge vor ihr. Entschlossen entfesselt er eine ganze Angriffsserie auf Sangra. Doch diese weicht jedem Hieb aus. Nekomaru muss einsehen, dass ein Schwert nicht seine präferierte Waffe ist. Dennoch gibt er nicht auf, bis plötzlich schwarze Schattenarme an ihm vorbei auf seine Gegnerin zurasen. Die Dämonenfürstin kann nicht mehr ausweichen. Wie Speere durchbohren die Schatten ihren Körper.

Ihr Ursprung liegt bei Xenos. Der Junge widersetzt sich Sangras Kräften. Die schwarzen Wirbel seiner Totenform, des mächtigsten nekromantischen Zustandes, umgeben ihn. Er kontrolliert die manifestierten Schatten, die dämonische Gabe Umbras. Nekomaru nutzt den Moment. Ein finaler Stich soll das Ende bringen. Doch Sangra grinst, als sich hinter der Fürstin eine riesige rote Welle nähert. Nekomaru weicht zurück, doch er kann nicht entkommen. Die Blutwelle bricht durch die Torruine, erfasst Sangra und Nekomaru und reißt Xenos mit. Als die Welle langsam abebbt, stützen sich die Kinder hustend und in Blut getränkt auf Armen und Beinen vom Boden ab. Vor ihnen liegt das Rubinschwert. Doch über diesem thront Sangra. Mit Verachtung blickt sie auf die jämmerlich aussehenden Jungen herab. Ihre tiefen Wunden dampfen und beginnen sich zu verschließen. In ihrer rechten Hand hält sie einen weiteren Blutsäbel. Als Xenos und Nekomaru ihre Köpfe heben, holt sie bereits aus.

„Concursores fluctus“, artikuliert Xenos.

Sofort wird Sangra von einer kräftigen Druckwelle erfasst. Ihre Kleider wehen im Wind, das Blut wird von ihr gedrückt, doch sie bewegt sich keinen Millimeter. Sie visiert Xenos an, ihre Augen werden weit. Der Nekromant will ausweichen, doch sein Körper regt sich nicht. Seine Totenform hat er verloren. Ohne diese ist sein Körper von Sangras Tortur zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Mit seiner gesamten Willenskraft versucht er seinen Zustand wieder zu aktivieren. Doch es ist zu spät.

Im letzten Moment wird er zur Seite geschubst. Nekomaru wirft sich gegen ihn, drückt ihn fort. In den Händen des Dämonenjungen manifestiert sich seine Sense. Bevor sie jedoch erscheinen kann, bricht Sangra durch den schwarzen Beschwörungsnebel hindurch. Die Blutwaffe trifft Nekomarus Brustkorb. Ohne Widerstand dringt sie durch Haut, Fleisch, Knochen und Organe und teilt den Jungen entzwei. Ein schreckhaftes Gurgeln lässt sich noch vernehmen, bevor Nekomaru verstummt. Xenos ist schockiert. Mit weit aufgerissenen Augen schaut er auf die Szene. Sein Freund hat ihn gerettet. Er hat ihm sein Leben gerettet und seines dafür gegeben. Der Moment brennt sich tief in den Nekromanten ein. Genauso tief ein brennt sich Sangras beginnende, von Wahnsinn erfüllte, schrille Lache.

Sie hebt ihre magische Klinge: „Nicht meine eigentliche Wahl, aber einen von zwei habe ich erledigt. Seine Seele gehört mir!“

Xenos erreicht seine Totenform und erhebt sich. Sein tief böser Blick verharrt auf Sangra, während er einige Schritte zurückweicht.

Diese schaut auf das Rubinschwert zu ihren Füßen: „Und glaub mir, dass ich mit seiner Seele nicht den gleichen Fehler machen werde wie bei dem kleinen Seyden. Die Seele deines Freundes wird niemand jemals finden, um ihn zu befreien! Er wird auf ewig meine schlimmste Folter im Reich der Toten ertragen dürfen. Das verspreche ich dir.“

Dann wandert ihr Blick zu Xenos, dessen Augen nun genau so viel, wenn nicht mehr Zorn in sich tragen, als die Wut aller Dämonenfürsten vereint. In seinen Händen zucken Blitze, um ihn herum züngeln Schattenarme, bereit auf Sangra zuzustürzen. Plötzlich beginnt der gesamte Boden um die Burgruine herum zu leuchten. Hunderte von Sigillen haben sich aus dem verteilten Blut gebildet. Aus ihnen beginnen abermals so viele Untote emporzusteigen. Xenos beschwört jeden Diener herauf, den der Junge besitzt. All die Verteidiger aus Nekropole Falkenbach und alle Körper, die noch in seinem Reservoire vorhanden waren. Tausende von Kriegern füllen den Platz. Sie bilden einen Kreis um die beiden Kontrahenten, ähnlich wie zuvor Sangras Dämonen.

„Sei nicht töricht!“, schimpft die Blutfürstin. „Selbst eine ganze Armee kann mich nicht besiegen. Ich bin eine der Schöpferinnen eurer verkommenen Welt. Wenn ich wollte, könnte ich euch alle mit einem kleinen Zwinkern auch wieder auslöschen.“

Xenos weiß, dass ihre Aussage wahr ist. Genauso weiß er aber auch, dass sie diese Drohung niemals umsetzen wird. Allein, weil sie die Intervention ihrer Geschwister, nicht nur der Dämonenfürsten, sondern auch der Götter fürchtet. Jede Grenzüberschreitung, schon die Tatsache, dass sie überhaupt hier ist, könnte genug sein, sie auf den Plan zu rufen. Ein Kampf der Schöpfungswesen wäre verheerend für alle Welten.

Plötzlich stößt die Spitze einer Klinge aus Sangras Bauch hervor. Sie reißt ihre Augen weit auf, als diese sich mit Blut zu füllen beginnen. Auch über ihre Lippen beginnt der rote Saft zu rinnen. Überraschung, begleitet von Schock, zeichnet sich in ihrem aufquellenden Gesicht ab. Langsam dreht sie ihren Kopf, blickt über ihre Schultern. Sie blinzelt ungläubig. Zwei Jungen, acht und neun, Geister der Vergangenheit, halten das Rubinschwert, welches nun bis zum Schaft in Sangras Rücken steckt. Der Jüngere in verbrannter Kleidung, sein Gesicht Angst erfüllt und dennoch entschlossen zur Tat. Der Ältere in geisterhaftem Schein, mit gefütterter Tunika und grauem Wolfspelzmantel. Gerechtigkeit und Genugtuung brennen in seinen Augen. Es sind Yuki und Seyden.

In Rage schreit Sangra auf, während das Blut wie ein Wasserfall aus ihrem Mund strömt. Sie reißt ihre Arme in den Himmel. Ihre rot lackierten, spitzen Fingernägel beginnen sich von dem Blut, welches sich unter ihnen ansammelt, zu lösen. Dann ballt sie ihre Fäuste. Im nächsten Moment befindet sich nur noch ein aus Blut geformtes Replik ihres Körpers an jener Stelle. Unmittelbar fällt es in sich zusammen und verteilt sich auf dem ohnehin bereits getränkten Boden.

Ein kleines Lächeln der Zufriedenheit zieht sich über Seydens Gesicht. Er schließt seine Augen und sein Geist verschwindet. Sofort lässt Yuki das Schwert fallen und sinkt auf seine Knie. Seine Anspannung fällt ab, als er von seinen Gefühlen überwältigt zu weinen beginnt.

Xenos löst die Kettenblitze auf. Seine Schattenarme verschwinden. Er schaut in seine zitternden Hände. Noch immer zeichnet sich jede Ader auf seiner Haut ab. Sein Körper scheint noch immer stark geschädigt, so dass er ihn ohne Totenform wohl nicht kontrollieren könnte. Langsam schlurft er zu Yuki und Nekomarus Überresten.

„Spiritus Visus“, murmelt der Nekromant.

Der Zauber lässt ihn alle Seelen in der Umgebung sehen. Er will Nekomaru nicht aufgeben, hofft seinen Astralkörper noch zu finden. Doch alles, was er erkennt, sind Yuki neben ihm, Seyden unter ihm und einige seiner Wiedererweckten, an die er befreite Seelen binden konnte. Nekomaru ist fort. Mit leerem Blick schaut er auf den zerteilten Körper seines Freundes. Plötzlich beginnt dieser zu verfallen. Unter dem bereits leicht angetrockneten Blut beginnt die Haut des Jungen zu zerbröseln. Langsam fällt sein Körper in sich zusammen. Unbeholfen schaut Xenos dem Schauspiel zu. Er kniet sich nieder und berührt Nekomaru, der immer noch warm ist, als sich die Stelle ebenfalls löst und zerfällt. Xenos betrachtet seine blutverschmierten Fingerspitzen, an denen nun auch graue Reste des Körpers hängen. Er zerreibt sie zwischen seinen Fingern. Asche. Nekomarus Körper zerfällt zu Asche! Halb Dämon, halb Mensch. Ist das das Ende eines Dämonenkindes? Er hat noch nie gesehen oder gehört, dass eines der unter ihnen wandelnden Dämonenkinder gestorben ist. Nekomaru ist womöglich der erste, der von ihnen geht.

Auch Yuki hat den eigenartigen Prozess bemerkt. Er schaut gebannt auf den Leichnam. Seine Tränen sind versiegt. Schließlich liegt nur noch ein Gemisch aus Asche und Blut vor den beiden. Das war es, schießt Xenos in den Kopf. Selbst wenn er Nekomarus Seele finden sollte, ist dessen Körper zerstört. Er hat kein Gefäß mehr, in das er zurückkehren könnte. Der Junge beginnt zu schluchzen, seine Augen werden feucht, als Nekomarus Asche plötzlich in Flammen aufgeht. Xenos weicht zurück, hält seinen Arm schützend vor sein Gesicht. Das Feuer brennt ungeheuer heiß. Heißer noch als das lodernde Feuer einer Schmiede. So schnell wie das Feuer kam, erlischt es auch wieder. Was es zurücklässt, macht Xenos sprachlos. Vor ihm liegt Nekomaru. Unbefleckt, unbekleidet und unverletzt liegt der Körper seines Freundes wieder vor ihm. Als hätte er so das Licht der Welt erblickt. Dabei sieht er aus, als würde er schlafen. Doch dann reißt der Blondhaarige seine Augen auf. Holt so tief Luft, als wäre es das erste Mal in seinem Leben, wie ein vor wenigen Sekunden geborener Säugling. Der Nekromant mustert ihn eingehend von Kopf bis Fuß, kann nicht einordnen, was gerade geschehen ist. Nekomaru richtet sich langsam auf und fasst sich benommen an den Kopf.

„Sterben tut wirklich weh. Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe“, richtet er sich an Xenos, bevor er sein schelmisches Grinsen aufsetzt und sich freut ihn zu sehen.

In diesem Moment ist sich Xenos sicher, dass das vor ihm Nekomaru ist. Das Gefühl des Glücks steigt in ihm empor. Schnell steht er auf, um sich seine Robe auszuziehen. Behutsam legt er sie um den Blondhaarigen. Im luftigen Hemd kniet er sich wieder nieder. Dann fällt Xenos seinem Freund um den Hals und drückt ihn an sich.

Einen Moment später hält er ihn vor sich: „Was ist passiert?“

„Sangra hat mich entzwei geteilt“, meint er nüchtern.

„Das habe ich gesehen“, schüttelt Xenos genervt und doch froh den Kopf. „Ich meine danach. Du bist zu Asche zerfallen. Dann hast du gebrannt und nun bist du wieder da!“

Der Junge pausiert, als ihm plötzlich klar wird, was geschehen sein muss. Auch Nekomaru scheint bewusst zu werden, was passiert ist. Er will nach seiner Tasche greifen, um etwas zu suchen, als der Dämonenjunge bemerkt, dass er diese nicht mehr trägt.

„Du hattest eine Feder?“, fragt Xenos glücklich und zugleich ungläubig. „Eine Phönixfeder von unserem Besuch auf Neogena? Und du hast nichts gesagt?“

Nekomaru zuckt mit den Schultern: „Ich hatte es auch vergessen.“

Xenos schließt seinen Freund erneut in die Arme: „Du darfst das nie wieder tun, hörst du?“

„Vergessen dir etwas zu sagen?“

„Sterben!“, wird Xenos deutlich. „Du bist schließlich mein bester Freund.“

Über die Wangen des Jungen fließen Tränen hinunter zu seinem Kinn. Von dort tropfen sie auf Nekomarus Schulterblatt. Schließlich spürt er, wie auch Nekomaru ihn fest an sich drückt.


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.02.2023
Zuletzt bearbeitet: ———-
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