Kapitel 12 – Die dunkelste Stunde Inekorias

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Vor den verschlossenen Toren Inekorias bremst Guren ihren Planwagen abrupt ab. Die drei Kinder auf der Ladefläche können sich nur mit Mühe festhalten. Kurz vor den nun geschlossenen Toren kommt sie zum Stehen. Der Blick der rothaarigen Frau fällt nach hinten. Xenos erkennt die Sorge der Ungewissheit in ihren Augen. Der selbe Ausdruck zeichnet auch sein Gesicht. Nekomarus Aufmerksamkeit liegt noch immer voll und ganz auf den Dämonenfürsten. Deren widerliches Grinsen wird nur noch breiter, nun wo den Kindern der Fluchtweg abgesperrt ist. Während Kadesh und Nidhörun auf sie zukommen, erscheinen aus der Pforte hinter ihnen weitere Dämonen. Hunde- und wolfsähnliche Kreaturen mit räudigem Fell scharen sich direkt vor dem Portal zusammen.

Dieser Anblick lässt selbst die Soldaten auf den Mauern in ihren traditionsreichen Schuppenrüstungen mit Verunsicherung ringen. Ihre Bögen sind gespannt. Doch sie wissen, dass sie solch mächtigen Kreaturen nicht gewachsen sind. In ihren Gedanken äußern die Krieger ein Stoßgebet an ihre Schutzpatronin Shedu, die Dämonenfürstin der Katzen. In diesem Moment huschen an ihnen auch bereits die unzähligen kleinen Katzen vorbei, die normalerweise durch die Straßen Inekorias streifen. Sie setzen sich zwischen die Zinnen und blicken hinaus auf das offene Feld. Sofort fühlen sich die Soldaten wieder ermutigt. Die Katzen sind die Schutzdämonen der Stadt. Inekoria selbst hat nur verhältnismäßig wenig Soldaten. Durch den direkten Schutz von Shedu war die Tempelstadt jahrhundertelang keinen ernsten Bedrohungen ausgesetzt. Das heißt jedoch weder, dass die Stadt ein leichtes Ziel ist, noch, dass ihre Krieger schwach und unerfahren sind. Zwar mussten die Soldaten lange nicht in ihrer eigenen Stadt zu den Waffen greifen, doch rückten sie stetig zu Hilfeersuchen an andere Fronten aus. Erst während des Einfalls der Dämonen in das Ostkaiserreich in den vergangenen Wochen haben sie an zahlreichen, kräftezehrenden Kämpfen teilgenommen. Leider haben sie an allen Fronten verheerende und verlustreiche Niederlagen erlitten. Die erlebten Schlachtfelder haben die stolzen Krieger geprägt. Die schiere Masse ihrer Gegner lässt ihnen keine Chance auf Erfolg. Doch nun, mit Shedu an ihrer Seite, schöpfen sie neue Kraft.

„Soldaten Inekorias“, erklingt plötzlich die Stimme ihrer jungen Hohepriesterin Kurojoshi Taneko.

Die Verteidiger drehen sich zu ihr. Das Mädchen, welches die Stadt führt, steht auf der Innenseite des Tores. Ihr schwarzes Haar weht zusammen mit ihrem Schreingewand im seichten Wind. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich stark. So schnell es geht, ist sie vom Tempel hierher geeilt.

Ernst beginnt sie ihre Ansprache: „Die Menschen vor unserem Tor benötigen unsere Hilfe und wir brauchen die ihre. Lasst euch von unseren Feinden nicht einschüchtern und lasst sie ein. Unter ihnen befinden sich die Geschwister der Prophezeiung, die unsere Welt im Gleichgewicht halten müssen. Wenn wir sie hier den Dämonen ausliefern, wird ganz Atra-Regnum ihrem Joch unterliegen. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die machthungrige Allianz der Dämonenfürsten auch unsere schöne Stadt einverleibt und Shedus Tempel entweiht. Also lasst uns heute den Kampf suchen, statt wie Vieh auf seinen Schlachter zu warten! Zeigen wir ihnen, dass wir uns nicht kampflos geschlagen geben. Beweisen wir Shedu, dass wir ihrer würdig sind!“

Mit der Brust voran nehmen die Soldaten Haltung an. Sie recken ihre Waffen empor und stoßen einen nahezu synchronen Kampfschrei aus. Ihre Ehre, der Respekt für ihre Hohepriesterin und die Verehrung ihrer Schutzpatronin Shedu geben ihnen Zuversicht.

Guren, Xenos, Nekomaru und Ayame auf der anderen Seite der Mauer haben Kurojoshis Worte gehört. Als sich daraufhin plötzlich das Tor wieder zu öffnen beginnt, überschwemmt sie die Erleichterung. Doch als sie in die Stadt einfahren und zu Kadesh und Nidhörun schauen, schlägt diese schnell in neue Sorge um. Das selbstgefällige Grinsen ist purem Zorn gewichen. Und ihretwegen wird Inekoria ihn zu spüren bekommen. Die gewaltigen Hundedämonen hechten auf das Stadttor zu. Die Soldaten auf den Mauern eröffnen das Feuer. Direkt hinter dem Planwagen wird die Pforte wieder geschlossen, als auch schon die ersten Dämonen mit dumpfen Schlägen gegen das Tor sprinten.

Xenos und Nekomaru steigen aus dem Planwagen, als Kurojoshi mit besorgtem Gesichtsausdruck auf sie zukommt.

„Geht es euch gut?“, möchte sie wissen.

Xenos beruhigt sie: „Uns geht es gut. Ich kann dir gar nicht genug danken für das, was du getan hast.“

„Es war nötig. Ihr seid mir wichtig. Ihr seid unserer ganzen Welt Natu wichtig.“

„Woher wusstest du es?“, fragt der Nekromant.

„Dass du und deine Schwester die Kinder der Prophezeiung seid? Niji hat es mir im Tempel verraten. Ich musste euch also Zuflucht gewähren. Um euretwillen bin ich froh darum. Doch meiner Stadt habe ich damit den Untergang gebracht.“

In Kurojoshis Worten schwingt große Betrübtheit mit. Das war vermutlich die schwerste Entscheidung, die sie je treffen musste. Sollte sie ihre Freunde retten oder die Sicherheit ihrer Stadt gewährleisten? Hätte Niji ihr nicht solch eine wichtige Information zukommen lassen, die Abertausende von Leben beeinflusst, hätte sie sich wohl schweren Herzens für ihre Stadt und gegen Xenos und Nekomaru entschieden. Die Hohepriesterin vertritt Inekoria immerhin mit ihrer Entscheidungsgewalt.

„Xenos“, erklingt plötzlich eine panische, hallende Kinderstimme.

Kurojoshi erschreckt, als sich ein kleiner, braunhaariger Geisterjunge mit verbrannter, in Fetzen hängender Kleidung neben ihr manifestiert.

„Yuki!“, stößt Nekomaru freudig, doch fragend aus.

„Die Inquisition“, stammelt der Achtjährige aufgeregt. „Inquisitor Clavius Meres und seine Armee greifen die Nekropole Falkenbach an. Sie sind aus dem Nichts wieder aufgetaucht und stürmen die Stadt! Wir können sie ohne deine Hilfe nicht abwehren.“

Xenos‘ Blick schnellt voller Besorgnis zu Nekomaru.

Kurojoshi erhebt das Wort: „Geht nur. Wenn ihr von hier verschwunden seid, lassen sie vielleicht von Inekoria ab.“

Nekomaru schüttelt den Kopf: „Inekoria ist die letzte freie Stadt in einem Reich der Finsternis. Ihr habt das Abkommen zwischen Shedu und Kadesh gebrochen. Dämonenfürst Kadesh wird diese Gelegenheit dazu nutzen, sich nun auch diesen Schandfleck auf der Karte einzuverleiben. Komm mit uns. Wir können dich in Sicherheit bringen.“

Nekomarus direkte Worte schocken Kurojoshi. Sie weiß, dass der Dämonenjunge recht hat, doch will es nicht wahrhaben. Viel mehr trifft sie jedoch sein Vorschlag, ihre Leute zurückzulassen und sich selbst in Sicherheit zu bringen. So etwas Egoistisches, Taktloses und Unehrenhaftes würde ihr nie in den Sinn kommen.

„Nein!“, lehnt sie entschlossen ab. „Ihr solltet gehen.“

Der Blondhaarige dreht sich zu Xenos: „Mit mir bräuchtest du mehrere Stunden bis nach Falkenbach. Doch deine Nekromantenebene bildet die Nekropole ab. Mit dem Grab der Toten kannst du sofort dort hinreisen. Nekromanten können zwischen ihrer Ebene und der Realität wechseln!“

„Die anderen aber nicht“, führt Xenos weiter aus. „Ihr wärt dort bis zu eurem Tod gefangen.“

„Darum schicken wir Guren mit Ayame fort. Die Dämonenfürsten werden damit rechnen, dass wir sie nach Falkenbach bringen wollen und die Nekropole im Auge behalten. Wenn Guren sich aber mit ihr versteckt und später zu uns kommt, werden wir sie vielleicht unbeobachtet in der Stadt verstecken können. Ich bleibe hier in Inekoria und verschaffe euch mehr Zeit.“

Mit diesem Plan haben weder Xenos noch Kurojoshi gerechnet. Sprachlos schauen sie Nekomaru an. Er ist so durchdacht und gleichzeitig so selbstlos. Eine Art, die gar nicht zu dem Jungen passt.
Dann wendet er sich jedoch noch einmal zur Hohepriesterin: „Aber wenn Inekoria fällt, wirst du die Stadt mit mir verlassen.“

Die beiden zögern, doch unter diesem Zeitdruck fällt ihnen selbst kein besserer Plan ein. Xenos und Kurojoshi willigen ein. Sofort weiht Xenos Guren ein. Schweren Herzens verabschiedet er sich noch einmal von seiner Schwester, als sich der Planwagen auch bereits in Bewegung setzt. Der Nekromant selbst verschwindet, gefolgt vom Geisterjungen Yuki, in seinem Grab der Toten.

Zurück bleiben Kurojoshi und Nekomaru, die gebannt auf das große Holztor starren, dass sich immer bedrohlicher nach Innen neigt. Der stabile Balken, der es verschlossen hält, knackt bedrohlich. Die Kinder rücken näher zusammen, um sich gegenseitig Hoffnung zu spenden. Sie machen sich kampfbereit. Während Nekomaru seine Dämonensense erscheinen lässt, zückt Kurojoshi die ersten Papiere mit Beschwörungszeichen und wirft sie vor sich in die Luft.

„Iyasuneko, ich rufe euch! Steht mir bei!“

Die Papiere lösen sich auf und ein halbes Dutzend kleiner katzenartiger Wiesel erscheint an ihrer Stelle. Grazil landen sie auf ihren kleinen, gedrungenen Beinen. Zwei von ihnen laufen auf ihre Meisterin und Nekomaru zu. Sie krabbeln an ihren Beinen nach oben und legen sich wie ein Pelzkragen um ihren Hals. Die anderen Iyasuneko verteilen sich auf einige der Soldaten vor dem Tor.

„Sie nehmen dir den Schmerz und heilen deine Verletzungen“, erklärt Kurojoshi, während sie den pelzigen Dämon um ihren Hals am Kopf krault.

Nekomaru ist beeindruckt. Mit einem zufriedenen Lächeln streicht er über das Fell. Plötzlich bricht jedoch Unruhe auf der Mauer aus. Die Schützen werfen ihre Bögen zur Seite und ziehen ihre Schwerter, als sich auch schon pechschwarze hundeähnliche Kreaturen an den Zinnen emporziehen. Ihre Extremitäten sind unproportional lang und statt mit Pfoten mit Händen versehen. In ihrem Hundekopf leuchten rote Augen und fletschen spitze Zähne. Sie haben sich in das Mauerwerk gegraben und die Stadtmauer ohne Probleme erklommen. Sofort fahren die kleinen Katzendämonen zwischen den Zinnen ihre scharfen Krallen aus und springen den Kreaturen entgegen. Auf der Mauer beginnt die Schlacht zu wüten und auf den Straßen bricht nun Panik aus. Die Zivilisten lassen ihr Tagesgeschäft stehen und liegen. Sie laufen um ihr Leben. Sie verstecken sich in ihren Häusern, verschließen die Türen und verbarrikadieren die Fenster.

Die junge Hohepriesterin fühlt mit ihnen. Doch sie wird alles dafür geben, ihre Schutzbefohlenen zu verteidigen. Sie streckt ihre Hände in Richtung des Tores.

„Ich rufe euch, Wächter des Osttors! Haltet die Feinde auf!“

Am Holztor werden vier eingeritzte Sigille sichtbar. Einen Augenblick beginnen sie blutrot zu glühen, bevor vier Rakshasa erscheinen. Die humanoiden, in leichte, weite Kleidung gehüllten Tigerdämonen nehmen Kampfstellung ein. In jeder Hand tragen sie einen Säbel, den sie dem Tor entgegenstrecken. In diesem Moment gibt der Balken auch bereits nach. Er zersplittert in der Mitte, reißt förmlich auseinander und das Flügeltor schwingt auf. Auf der anderen Seite stehen Horden von Dämonenwölfen. Bei ihnen direkt an der Front befindet sich aber auch Nidhörun. Entschlossen fällt er mit den niederen Dämonen in die Stadt ein, ohne sich dabei selbst am entstehenden Schlachtgetümmel zu beteiligen. Während die Wölfe sich auf die Rakshasa und Soldaten stürzen, setzt der Dämonenfürst des Wahnsinns, der Täuschung und Lügen seinen Weg unbeirrt fort und läuft auf Kurojoshi und Nekomaru zu. Schützend stellt sich der Junge vor die Priesterin.

„Das Spiel ist vorbei!“, spricht Nidhörun ohne den sonst so typischen amüsierten Tonfall. „Wo ist Ayame? Ihr hättet sie mir nicht wegnehmen dürfen. Dieser Ifrit, Krustsho, hat alles ruiniert! Xenos ist mit ihr auf dem Weg zum Transportsigill, richtig? Sie werden mir nicht entkommen.“

Ohne seinem Gegenüber eine Antwort zu geben, geht Nekomaru in den Angriff über und rennt dem auf ihn zukommenden Dämonenfürsten entgegen. Er holt mit seiner Sense Schwung und lässt sie auf den alten Herren niedergehen. Dieser greift von Wut gelenkt in den tödlichen Schwung hinein und bekommt den Sensenschaft zu fassen. Mit diesem unerwarteten Zug hat er Nekomarus Angriff gestoppt. Ruckartig zieht er die Sense in die Luft. Der Blondhaarige denkt nicht daran sie loszulassen und wird mit emporgezogen. Er nutzt den Moment, um dem Fürsten in die Magengrube zu treten. Das lässt ihn leicht zusammenzucken. Doch es reicht nicht, um ihn dazu zu bringen, die Sense fallen zu lassen. Stattdessen holt Nidhörun mit gefühlter Leichtigkeit zu einem mächtigen Schwung aus und schleudert die Dämonensense zur Seite. Mit ihr fliegt Nekomaru. Glas scheppert, als der Junge durch ein Fenster im oberen Stockwerk der städtischen Bibliothek bricht.

„Kinji, Megani, bitte helft mir“, wirft Kurojoshi verängstigt zwei weitere Papierstücke vor sich zu Boden.

Zwei Nekomanta, Dämonenkatzen mit zwei Schwänzen, erscheinen vor der Priesterin. Sie sind die treuen Gefährten des Mädchens. Obwohl ihre Chancen gleich null sind, stellen sich die kleinen Katzen schützend vor sie. Dieses Bild entlockt Nidhörun ein ein kurzes, amüsiertes Kichern, bis er seinen Weg ihr entgegen fortsetzt. Dann sprinten auch bereits die beiden Nekomanta los. Blitzschnell springen sie dem mächtigen Fürsten um die Beine, beißen sich fest und kratzen ihm tief in sein fauliges Fleisch. Unter starken Schmerzen versucht Nidhörun die kleinen Monster zu fassen, doch sie entgehen seinen Griffen. Schließlich bekommt er eine von ihnen am Schwanz zu fassen. Er zieht sie von sich fort, greift nach ihrem zweiten Schweif und zieht sie mit einem Ruck auseinander. Der Körper des Dämons wird so schwer beschädigt, dass dessen Seele zurück ins Totenreich geschleudert wird. Kurojoshi schreit auf, als sie diesen Anblick ertragen muss. Auch die andere Nekomanta lässt dies einen Moment unachtsam werden, als sie auch schon von ihrem unbesiegbar scheinenden Gegner gegriffen wird. Mit Wucht schleudert er sie zu Boden, setzt seinen Gang fort und tritt den kleinen Dämon dabei mit seinem ganzen Gewicht in die Straße.

Verstört weicht Kurojoshi zurück, doch Nidhörun erreicht sie dennoch. Mit einem simplen Schubs schleudert er sie zur Seite, hinein in einen kleinen Laden, der dabei zu Bruch geht. Nun ist sein Weg zum Tempel frei. Dort liegt das Teleportsigill.

Aus dem Haus, in dessen Laden Kurojoshi gelandet ist, kommen ihr die Bewohner zur Hilfe. Sie richten das Mädchen wieder auf und erkundigen sich, ob es ihr gut geht. Sie braucht einen Moment sich zu sammeln, ihre Kratzer verschwinden durch die Iyasuneko um ihren Hals schnell wieder. Dann sprintet sie wortlos, aber entschlossen zurück auf die Straße. Aus dem zerbrochenen Fenster gegenüber sieht sie zeitgleich Nekomaru klettern und zu ihr hinunter springen. Ihm geht es gut. Doch die Verteidigung am Tor beginnt zu brechen. Mehr und mehr Wolfskreaturen wenden sich den Wohnhäusern zu und sorgen für Chaos.

Unter dem Vordach vieler Häuser hängen Papierketten, die Kurojoshis Beschwörungszetteln sehr ähnlich sehen. Tatsächlich sind einige dieser Papiere echt und werden durch dekorative Papiernachrichten ergänzt. So ist es für Unwissende unmöglich sie zu unterscheiden. Das ganze Stadtbild wird durch diese Ketten und andere Sigillformen geprägt. Sie dienen der Verteidigung in eben genau solchen Fällen. Dann kann die Familie Taneko sie nutzen, um die Stadt zu schützen. Kurojoshi hätte schon viel früher auf sie zurückgreifen sollen. Es ist aber noch nicht zu spät. Unter großer Anstrengung aktiviert sie die Beschwörungspapiere der betroffenen Häuser in der Nähe des Tores. Verschiedenste Dämonen aus Shedus Domäne erscheinen zum Kampf. Seien es Nekomanta, Rakshasa, Geisterkatzen, Kitsune oder andere Tigerwesen. Das letzte Sigill, welches sie jeweils an den Häusern aktiviert, beschwört jedoch keine Dämonen. Stattdessen erheben sich aus dem Boden massive Steinwände. Die dicken Platten, auf denen Gebetssprüche für Shedu eingemeißelt sind, schirmen die unteren Etagen der Gebäude vollkommen ab. Die meisten Wolfsdämonen weichen zurück. Wenige, die sich nicht beirren lassen, werden unter den Vordächern zerquetscht.

Kurojoshi sinkt erschöpft auf ihre Knie. Doch der Kampf beim Tor wurde wieder ausgeglichener. Zudem sind die Bewohner entlang der Mauer nun vor Übergriffen geschützt. Außerhalb der Mauer bahnt sich jedoch bereits die nächste Bedrohung an. Die beiden Kinder erblicken Dämonenfürst Kadesh in den Horden seiner Diener, die sich in die Stadt vorwagen. Sie haben aber keine Wahl und müssen auf Shedus Diener vertrauen. Ihr Ziel muss Nidhörun bleiben, um Guren und Ayame genug Zeit zu verschaffen, Inekoria unbeobachtet zu verlassen. Wieder bei vollen Kräften folgen sie also dem Dämonenfürsten der Lügen.

Auf dem viereckigen Marktplatz auf halbem Weg zwischen Tor und Tempel können sie ihn einholen. Nekomaru reckt dem Fürsten seinen linken Arm mit dem schwarzen Lederarmband entgegen. Mit der anderen Hand löst er den verborgenen Mechanismus aus und schießt eine Bola um Nidhöruns Füße. Wie erwartet gerät der alte Mann aus dem Gleichgewicht, was der Junge sofort ausnutzt. Blitzschnell steht er hinter seinem Opfer und schwingt seine Dämonensense. Der Dämonenfürst versucht dem Angriff auszuweichen, doch er hat sich noch nicht wieder gefangen. Seine Kehle kann er zwar aus der Schwungbahn nehmen, doch Nekomarus Sense gleitet ihm über seine rechte Gesichtshälfte und entfernt einen Teil seiner Wange sowie sein rechtes Ohr.

„Verfluchtes Gör!“, schimpft er vor Schmerz, als auch schon ein weiterer Sensenhieb folgt.

Statt erneut zu versuchen auszuweichen, rammt Nidhörun seinen Ellenbogen nach hinten in den Brustkorb des Blondhaarigen. Dieser schnappt sofort nach Luft und lässt sich zurückfallen. Dort wird ihm von Kurojoshi Halt gegeben. Der Dämonenfürst nutzt den Moment, um seine Beine aus Nekomarus Schlinge zu befreien. Ein abgrundtiefes böses Funkeln ist in seinen blutunterlaufenen Augen zu erkennen.

„Das werdet ihr mir büßen! Es ist ein Frevel, einen Dämonenfürsten derart anzugehen. Noch nie musste sich eines meiner Geschwister derartiges Verhalten gefallen lassen. Ein nicht lebensbedrohlicher Schnitt deiner Dämonensense macht einem mächtigen Fürsten wie mir jedoch nichts aus. Außerdem habt ihr Glück, dass ich mich zuerst um eure Freunde kümmern muss.“

„Das wirst du nicht!“, spricht Kurojoshi entschlossen und streckt ihre Hand aus. „Ich rufe euch, monolithische Wächter!“

Die Erde beginnt zu beben, als sich gewaltige Katzenstatuen aus dem Boden erheben und die vier vom Platz abgehenden Straßen blockieren. Nekomaru, Kurojoshi und Nidhörun sind auf dem Marktplatz gefangen.

„Ihr gebt euer eigenes Leben, um Xenos und Ayame entkommen zu lassen? Dann werde ich mich eben doch schnell mit euch beschäftigen.“ Nidhörun beginnt manisch zu kichern, während er auf die beiden Kinder zugeht. „Eigentlich wollte ich meinen Sohn verschonen. Aber er lässt mir ja keine Wahl. Es wird mir ein Vergnügen sein.“

Nekomaru spuckt vor sich auf den Boden, um seiner Abneigung dieser Worte gegenüber Ausdruck zu verleihen. Dämonenfürst Nidhörun ballt daraufhin seine Fäuste. Laut knacken seine Knochen, als er auch schon auf ihn und Kurojoshi zustürmt. Seine plötzliche Geschwindigkeit steht im Widerspruch zu seinem ihm äußerlich ansehbaren, gebrechlichen Alter. Nekomaru hat Mühe, ihn mit einem Konterangriff auf Abstand zu halten. Der Junge lässt seine Sense kreisen, während Kurojoshi hinter ihm neue Beschwörungspapiere in die Luft wirft. Aus ihnen entstehen große weiße Rauchwolken, die Nidhörun als auch die Kinder in dichten Nebel hüllen. Das erlaubt ihnen erneut größeren Abstand zwischen sich und Nidhörun zu bringen. Doch der Dämonenfürst der List und Täuschung, lässt sich nicht beirren. Während sich die beiden in eine andere Ecke des Marktplatzes zurückziehen wollen, packt sie aus der weißen Nebelwand jeweils eine Hand. Der muskulöse Griff gräbt sich in ihre Schultern, bevor sie zu Boden gedrückt werden. Angsteinflößend thront der gottgleiche Fürst über ihnen.

„Zuerst nehme ich mir dich vor“, lacht er Nekomaru manisch entgegen und lässt Kurojoshi los.

Den Blondhaarigen jedoch hebt er empor und schmettert ihn mit immenser Kraft in eine Hausecke. Die Wand wird eingedrückt und Nekomaru spuckt Blut, als Nidhörun auch schon vor ihn tritt. Schützend versucht der Junge seine Sense vor sich zu halten. Der Dämonenfürst reißt sie ihm problemlos aus den zittrigen Händen und wirft sie fort. Erneut ballt er nun seine Fäuste und beginnt auf den Dämonenjungen einzuschlagen. Jeder Schlag ist fatal. Er bricht ihm die Rippen und quetscht seine Organe.

Plötzlich spürt Nidhörun hinter sich eine Präsenz. Doch er kann sie nicht mehr identifizieren, als ihm bereits eine gewaltige Explosion den Boden unter den Füßen nimmt. Er wird in die Ecke zu Nekomaru gedrückt. Das Mauerwerk gibt nach und sie brechen ins Innere des Hauses durch. Dort verstecken sich hinter einem umgestoßenen Tisch vier unbeteiligte Einwohner. Panik steigt in ihnen auf und sie verlassen schreiend ihr sicher geglaubtes Versteck in Richtung des Hinterausgangs.

Nekomaru rührt sich nicht, als Nidhörun sich erhebt. Seine rechte Gesichtshälfte ist noch immer glatt abgeschnitten, sein Rücken nun mit einer tiefen Brandwunde überzogen. Doch ohne seine Kleidung erkennt man die perfekt geformte Rückenmuskulatur. Sein gesamter Körper scheint in Höchstform. Sein gebrechliches Auftreten ist eine Finte. Mit einem Ruck schnellt sein Blick zu Kurojoshi, die noch ihre Hand in seine Richtung ausstreckt. Ehrfürchtig weicht sie zurück, als sich der Dämonenfürst nun ihr annimmt. Sie ist bereits erschöpft von den vielen Beschwörungen, die sie durchgeführt hat. Doch ihr bleibt keine Wahl, als weiterzumachen. Sie wirft dem Fürsten ein weiteres Beschwörungspapier entgegen. Ein dämonischer Löwe erscheint. Mit monströsem Brüllen stürzt er sich dem alten Mann todesmutig entgegen. Dieser weicht den gefährlichen Zähnen mit Leichtigkeit aus. Er packt die Bestie an den Hinterbeinen und beginnt sich im Kreis zu drehen. In kräftigem Schwung lässt er schließlich los. Der Löwe fliegt über den Marktplatz durch die Wand eines Hauses und durchbricht es auf der anderen Seite erneut. Sein zerstörter Körper bleibt in einer Nebengasse liegen.

„Ich bin ein Dämonenfürst!“, schreit Nidhörun, dem Wahnsinn verfallen. „Seht es ein, kein Sterblicher kann es mit mir aufnehmen! Ich bin unbesiegbar!“

Der alte Mann setzt zum Sprint auf Kurojoshi an. Ihr Körper wird von der Panik übermannt. Sie dreht ihrem Gegner den Rücken zu und versucht zu fliehen, als sie von dem Fürsten auch schon an ihrem schwarzen, langen Schopf ergriffen wird. Er zieht sie in die Luft und dreht sie zu sich.

„Mit dir erlaube ich mir einen besonderen Spaß, Dämonenkind von Shedu“, kichert er manisch und legt seine Hand auf ihre Brust. „Ich reiße dir bei lebendigem Leibe dein kleines Herz heraus und du darfst ansehen, wie ich es zwischen meinen Fingern zerdrücke!“


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.06.2021
Zuletzt bearbeitet: ———
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