Kapitel 14 – Sturm auf die Nekropole Falkenbach

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Der Geruch des Todes liegt in der Luft. Nicht unüblich für eine aktive Nekropole wie Falkenbach. Doch heute ist er intensiver. Das bemerkt sogar Xenos, als er durch die Tür eines Hauses auf die Straße hinaustritt. Durch sie hat er seine nekromantische Ebene, eine Kopie seiner Stadt, verlassen. Der Junge steht in einer Seitengasse im oberen Teil der Stadt. Den Schaft seines wiedererlangten Dämonenschwertes an seiner Hüfte fest umschlossen, ist er bereit, Falkenbach gegen die angreifende Inquisition um jeden Preis zu verteidigen. Nur zwei letzte, kurze Gedanken widmet er Ayame, die allein mit Guren fliehen musste, und Nekomaru, der mit Kurojoshi in Inekoria kämpft. Dann widmet er sich ganz dem Hier und Jetzt.

Die größtenteils aus dunklem Gestein und dunkelbraunem Holz erbaute Stadt der Toten teilt sich in eine Unterstadt, eine Oberstadt und das Plateau, auf dem das Anwesen der Nebraa liegt. Die besondere Architektur der Stadt ist gekennzeichnet durch die Vermischung der Stile der alten Dunkelelfen und Menschen zu einem einzigartigen Fachwerk, verziert mit zahlreichen meisterwerklichen Reliefs. Grund dafür ist, dass Falkenbach bis zum Ende des Sudamekrieges vor fünfhundert Jahren eine Garnison der Dunkelelfen war. Aufgrund des Blutquell-Fluches, der über das Tal gelegt wurde, waren sie gezwungen, sich aus der Region zurückzuziehen. Kein Dunkelelf kann das Blutquelltal seitdem betreten, ohne einem furchtbar grausamen Tod zu erliegen. So fiel das Tal zusammen mit der Garnison nach Generationen von Kämpfen zwischen den beiden Völkern letztendlich an die Menschen. Das ab diesem Zeitpunkt herrschende Haus Nebraa baute die Garnison schließlich zur Hauptstadt der Region aus. Erst in dieser Zeit wuchs die Siedlung und die heutige Unterstadt wurde errichtet.

Durch die direkte Hanglage der Stadt erstreckt sich ein stetiges, leichtes Gefälle bis zur unteren, äußeren fünf Meter hohen Mauer. Dieser südlich gelegene Abschnitt ist die verwundbarste Stelle in der Verteidigungsanlage. Gen Norden und Westen liegen die steilen Hänge des Neavor-Gebirges. Östlich fließt der reißende Falkenbach, der namensgebende Fluss der Nekropole. Umgeben ist die Siedlung zudem von dichtem Wald, der siebzig Meter hinter der Südmauer beginnt und das komplette andere Flussufer bedeckt. All diese Faktoren bieten im Verteidigungsfall einen guten Schutz.

Aus dem Auftauchen des aufgeregten Geisterjungen Yuki zu folgern, scheint es jedoch ernste Probleme zu geben. In dem zuvor erdachten Verteidigungsplan für die Stadt muss etwas unberücksichtigt geblieben sein. Aus den umliegenden Straßen dringt bereits panischer Tumult. Ist die Armee um den alten Inquisitor Clavius Meres bereits bis in die Oberstadt vorgedrungen? Schon erscheint Yuki neben dem Nekromanten und drängt zur Eile.

„Die Inquisition kämpft bereits innerhalb der Mauern der Unterstadt“, bestätigt der Geist die Befürchtungen des jungen Oberhauptes der Nekropole.

Während sie sich so schnell wie möglich auf den Weg ins Kampfgebiet machen, erklärt der kleine Junge die momentane Situation so gut wie möglich.

In der Nacht ist die Inquisitionsarmee plötzlich wieder aufgetaucht und hat die Kontrolle über den Wald um die Stadt an sich gerissen. Man nahm an, dass sie von der gegenüberliegenden Flussseite angreifen, da nur dort Truppen aufgetaucht waren. Noch vor dem Morgengrauen hatten sie zahlreiche Bäume gefällt und einen Damm direkt unterhalb der Mauer errichtet. Ab diesem Punkt verteidigten sie nur noch ihre Stellung. Sie hatten gar nicht vor, direkt anzugreifen. Ihr Ziel war es, die Stadt zu fluten. Lediglich ihre Forderung haben sie noch einmal verlauten lassen. Sie wollen Xenos sowie die Vernichtung aller frevelhaften Untoten. Dann würden sie den Damm brechen und die Bürger verschonen. Jene Forderung erfüllte die Stadt natürlich nicht. Die Bemühungen, den Damm zu brechen, waren jedoch nicht erfolgreich. Mit den ersten Sonnenstrahlen überstieg der Falkenbach schließlich das Ufer und überschwemmte die Fischerdocks. Ab hier erreichte das Wasser auch schnell weitere Straßen und Häuser. Bei den Einwohnern brach Unruhe aus. Wer nicht auf den Mauern stand, versuchte seinen Besitz zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Doch was schließlich Panik auslöste, war die Erkenntnis, dass es für alle Untoten keinen Weg durch das Wasser gibt. Berühren sie es, beginnen ihre sterblichen Überreste rasant zu korrodieren. Nach wenigen Augenblicken fallen sie in sich zusammen, ihre Energie erlischt. Das Lebenselixier der Stadt, das Wasser ihres Flusses, verhält sich wie Weihwasser.

Azarni, Xenos‘ Mutter, hilft bei der Verwaltung der Nekropole Falkenbach und übernimmt in seiner Abwesenheit die Kontrolle. Bevor alle Straßen zur Oberstadt abgeschnitten waren, zog sie viele der Verteidiger zurück. Die untoten Bogenschützen auf den Mauern der Unterstadt löste sie gegen lebende ab. In diesem Chaos offenbarte sich die Inquisitionsarmee nun auch im Wald direkt vor den Toren. Mit Leitern stürmten sie die Mauern und drangen in die überschwemmten Teile der Stadt vor. Hier können ihnen nur die Lebenden Widerstand bieten, die wenigen Unerfahrenen, die vor vier Wochen noch nie eine Waffe in der Hand gehalten haben. Ihrer Forderung verleiht die Inquisition nun Nachdruck, indem ihre Soldaten plündern, zerstören und morden. Im Namen der Götter fühlen sie sich verpflichtet, dieses Land zu reinigen und von Frevel, Ketzern und weiterem Unrat zu befreien.

Als Xenos das Torhaus passiert, das Ober- und Unterstadt voneinander trennt, bietet sich ihm ein verheerendes Bild. Er blickt hinunter in Straßen, in denen das Wasser bereits bis zu den Knöcheln oder noch höher steht. In jeder von ihnen wird bitter gekämpft. Keinen weiteren Meter wollen die Falkenbacher der Inquisition überlassen. Das heilige Wasser ist schon lange nicht mehr klar. Aufgewirbelter Dreck und Blut färben es dunkel. Müll von provisorischen Barrikaden schwimmt an der Oberfläche und verfängt sich in den im Wasser liegenden Leichen.

Unweit von Xenos schießen aus dem Nichts Ranken über eine Hauswand hinweg. In ihnen verwickelt sind drei Feinde, die mit einem Schrei unter Todesangst emporgehoben werden. Viele Anhänger der Inquisitionsarmee sind genau wie die nun kämpfenden Einwohner Falkenbachs: unerfahrene Zivilisten, die in diesen unnötigen Konflikt hineingezogen wurden. Sie haben sich blenden lassen von dem angeblichen Willen der Götter, mit dem Inquisitor Clavius Meres zum heiligen Kampf aufgerufen hat.

Xenos zögert, seinen ersten Fuß ins Wasser zu setzen. Aufgrund seiner Abstammung als Dämonenkind reagiert er ähnlich auf das Weihwasser wie seine Untoten oder Dämonen. Ihn wird es hingegen nicht umbringen. Außerdem hat er keine Wahl. Wenn schon die Untoten nicht an der Seite der Bevölkerung kämpfen können, muss er es tun. Ansonsten wird die Inquisition von ihrer Heimat nichts übrig lassen. Der Junge beißt die Zähne zusammen und schreitet voran. Sofort zieht das Wasser durch sein Schuhwerk und dringt an seine Haut. Diese beginnt fürchterlich zu brennen, wird rot und schnell bilden sich auch erste Bläschen. Doch Xenos erträgt es und watet stur in Richtung des Ursprunges der Ranken. Yuki bleibt am Ufer zurück.

Als er um die Ecke biegt, erblickt er Elias, einen seiner Bediensteten. Der fünfzehnjährige Gärtner mit dunkelblonden, kurzen Haaren ist umzingelt von Feinden. Mit seinen druidischen Zaubern ist er in der Schlacht eine große Hilfe. Zudem weiß er als Bediensteter des Hauses Nebraa, wie man kämpft. Jeder Diener ist darauf vorbereitet, die Familie im Ernstfall zu verteidigen. Das heißt jedoch nicht, dass er gern kämpft. Auch wenn Elias furchtlos, aktiv und vielleicht ein bisschen schnippisch sein kann, bevorzugt er Ruhe und Frieden.

Mit einem Ruck streckt der Junge die Arme zur Seite, was dem Wasser zu seinem Füßen einen kräftigen Stoß versetzt. Die entstehende Welle ist nicht groß, doch hat sie scheinbar genügend Kraft, den ihn umzingelnden Soldaten die Füße wegzudrücken. Sie fallen in das trübe Wasser. Er entschuldigt sich bei ihnen, als sich im Anschluss Ranken um ihre Gliedmaßen wickeln und sie am Boden fixieren. Als die unmittelbare Gefahr gebannt ist, bemerkt er Xenos. Er dreht sich zu ihm und ein breites Lächeln beginnt sich über sein Gesicht zu ziehen.

„Xenos! Du bist hier“, freut er sich. „Nun werden wir die Inquisition besiegen können.“

Der Nekromant schenkt seinem Freund Hoffnung: „Ich werde tun, was ich kann. Du leistest aber auch gute Arbeit.“

„Herrin Azarni und Köchin Zara sind auch in Kämpfe verwickelt. Tenzo koordiniert die Truppen. Die Untoten können im Wasser nicht kämpfen.“

„Ich weiß. Wie haben sie so viel Wasser segnen können?“, fragt Xenos in der Hoffnung auf eine Erklärung.

Elias schüttelt den Kopf: „Die Inquisition hat einige Kleriker. Aber dass sie einen ganzen Fluss Weihwasser fließen lassen können, kann ich mir kaum vorstellen.“

„Ich sehe kaum eine andere Möglichkeit“, erwidert Xenos. „Wo ist Inquisitor Clavius Meres?“

„Er wurde bisher noch nicht gesehen“, zuckt der Druide mit den Schultern. „Weder beim Bau des Dammes noch beim Angriff.“

„Dann werde ich zu den Docks gehen und mich des Dammes annehmen“, beschließt Xenos und macht sich auf in die entgegengesetzte Richtung.

„Pass auf dich auf“, ruft Elias ihm noch nach.

Als Primärziel erregt Xenos auf seinem Weg durch die Straßen viel Aufmerksamkeit. Die kleinen Soldatengruppen der Inquisition greifen ihn jedoch nicht an. Stattdessen erkennt er Angst in ihren Gesichtern. Vermutlich sind die unausgebildeten Kämpfer wirklich keine ernstzunehmenden Gegner für ihn. Doch seine Anwesenheit spricht sich schnell herum. Je weiter er sich vom Tor und der Mauer der Oberstadt entfernt, wo die Bogenschützen Feuerschutz geben können, desto mehr Feinde lauern in den Straßen. Kurz hinter dem Tor, welches zu den Docks führt, stehen ihm plötzlich dutzende Feinde gegenüber, die nicht den Rückzug antreten. In dieser Menge können sie ihm durchaus gefährlich werden. Der Junge weicht zurück und zieht sein Schwert.

Xenos versucht ein letztes Mal, seiner augenscheinlich gescheiterten Politik, sich und die Falkenbacher als ungefährlich darzustellen, zu folgen: „Ihr wollt gegen mich kämpfen. Lasst mich euch vorab anbieten, euch ohne Konsequenzen zurückzuziehen. Anderenfalls bin ich gezwungen, keine Rücksicht zu nehmen.“

„Wir fürchten dich nicht, Monster!“, ertönt es plötzlich in seinem Rücken.

Ruckartig dreht der Junge sich um und blickt in die ernsten Augen eines ganz in weiß gekleideten Mannes mit kurzem blondem Haar und einem vergoldeten Stab in der Hand. Um ihn herum haben sich weitere Inquisitionssoldaten versammelt. Der Weg zurück hinter die Mauern ist abgeschnitten.

„Lux Solis!“, ruft der blondhaarige Mann, als sein Stab gleißend zu leuchten beginnt.

Geblendet kneift Xenos seine Augen zusammen und zieht seinen Arm schützend vor sein Gesicht. Er hört nur noch, wie hinter ihm zahlreiche Schritte durch das hier knietiefe Wasser auf ihn zu waten. Als Nahkämpfer sind seine Gegner in diesem Gebiet jedoch im Nachteil.

„Grab der Toten!“, spricht Xenos, um das Gebiet hinter sich in sumpfiges Gebiet zu verwandeln, welches seine Opfer in den Tod zieht.

Doch der Junge spürt, es geschieht nichts. Das Weihwasser muss den Zauber verhindern. Plötzlich erlischt das gleißende Licht. Schnell dreht sich der Nekromant um, nur um der Horde an Feinden wenige Schritte entfernt von sich wieder in die Augen blicken zu müssen. Im Kopf des Kindes rasen seine Optionen vorbei. Viele seiner Zauber werden nicht funktionieren. Weder eine Beschwörung noch seine tausend Explosionen. Ein Kettenblitz ist auch keine gute Idee. Doch sein Fundus ist groß. Er entscheidet sich für Damnum imperium, ein Zauber, der ihm die kurzzeitige Kontrolle über Lebewesen mit schwachem Geist gestattet.

Er wählt aus der Gruppe drei Ziele aus. Daraufhin kommt ein weißes Leuchten unter ihrer Kleidung zum Vorschein. Der Zauber hat keinen Effekt. Das hätte sich Xenos denken können. Die Inquisition hat ihre Kämpfer mit einem Amulett ausgestattet, was Kontrollzauber von ihren Körpern abwehrt. Die Intention dahiner war vermutlich, zu verhindern, dass ihre Gefallenen durch Xenos als Untote erweckt werden. Andere Kontrollzauber auch zu verhindern ist ein praktischer Bonus.

Xenos hat jedoch schon eine Alternative erdacht: „Concursores fluctus!“

Eine gewaltige Druckwelle geht von Xenos aus und schleudert die Angreifer mit bedeutender Kraft weit zurück. Zusammen mit einem großen Schwung Wasser werden sie bis über die Docks ins kalte Flussbett geschleudert. Hier finden sie keinen Halt. Die reißende Strömung zieht sie mit sich. Xenos widmet sich sofort den anderen Soldaten hinter sich, als der Kleriker bereits einen weiteren Zauberspruch spricht. Unzählige dünne Nadeln aus purer Energie schießen auf den Jungen zu. Blitzschnell zieht Xenos sein Dämonenschwert, um den magischen Angriff zu parieren. Eine Dämonenwaffe ist hocheffektiv gegen Magie und magische Kreaturen jeglicher Art. Mit dem Schwung zerstört der Nekromant die meisten der Nadeln, kurz bevor sie in seinen Körper eindringen können. Einige von ihnen treffen ihn jedoch, dringen ein und schießen vollständig durch ihn hindurch. Die brennend heißen Energienadeln hinterlassen kleinste Wunden und rauben Xenos große Mengen seiner Kraft. Er braucht einen Moment, um sich zu erholen. Darin sehen die feindlichen Soldaten ihre Chance und stürmen los.

Der junge Nekromant fängt sich jedoch rechtzeitig. Er spürt die Schwächung, ist aber noch lange nicht am Ende seiner Kräfte.

„Carpando nectens“, nutzt er die Ranken, die auch Elias verwendet hatte.

Wie er es sich dachte. Dieser Zauber wird nicht durch das Weihwasser beeinträchtigt. Die Dornenranken reißen die Soldaten in die Höhe. Selbst der Kleriker wird von dem Zauber erfasst. Dann erfüllen markerschütternde Schmerzensschreie die Straße, als die Pflanze die Körper während ihres Wachstums durchbohrt oder sie in ihrem Würgegriff förmlich zerquetscht. Einen Moment später werden die unförmigen Ranken welk und kollabieren. Die leblosen Menschen fallen zu Boden. Wer überlebt hat, kämpft mit ungeheuren Schmerzen von gebrochenen Knochen oder zerrissenen Muskeln.

Xenos‘ Gesicht zeigt sowohl Überraschung als auch Faszination. Das war nicht das, was er mit dem Zauber bezwecken wollte. Die Ranken haben sich ganz anders entwickelt, als er es erwartet hat. Hat das Wasser doch einen Einfluss auf seinen Zauber gehabt?

Zu den Überlebenden zählt auch der Kleriker. Er versucht, seinen Kopf über Wasser zu halten, während er sich mit seinen Armen davonziehen will. Seine Beine sind verdreht und zeigen keinerlei Regung mehr. Den Stab scheint er verloren zu haben. Xenos watet zu ihm herüber. Als der Mann der Götter ihn bemerkt, beschleunigt er seinen hilflos anmutenden Versuch sich zurückzuziehen. Ohne zu zögern stellt sich der Zwölfjährige auf die Beine des Mannes. Entgegen seiner Erwartungen scheint der Mann keine stärkeren Schmerzen zu spüren. Es scheint, dass seine Beine vollkommen taub sind.

„Von allen Anwesenden hättet nur Ihr allein den Tod verdient für eure verblendete Sicht, die andere manipuliert und mit nichts als Leid belegt“, spricht der Junge in kühlem Tonfall.

Der Mann spuckt spöttisch vor sich ins Wasser, um seinen Zustand zu überspielen: „Nun war mir ein schneller Tod leider nicht gegönnt. Stattdessen bin ich nun dir kleinem Monster ausgeliefert.“

Xenos kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „In diesem Fall habt Ihr recht. Obwohl ich schlimmere Monster als mich kenne. Jeder, den meine Ranken unglücklicherweise nicht getötet haben, ist des Todes. Die Verletzungen werdet Ihr und die anderen nicht überleben. Ich bereite Euch ein schnelles Ende, wenn Ihr mir sagt, wie Ihr den Fluss geweiht habt.“

Ruppig versucht der Mann sich von Xenos zu befreien: „Wie du sagst, ich sterbe so oder so. Von mir erfährst du nichts.“

„Nun gut“, meint Xenos, drückt seinen rechten Fuß gegen den Rücken des Mannes und presst ihn damit unter Wasser.

Nach einigen Sekunden lässt der Junge ihn wieder auftauchen: „Statt Euch ein schnelles Ende zu bereiten, kann ich Euer Ende genauso gut lang und qualvoll gestalten.“

Wasser hustend, beschimpft ihn der Kleriker: „Ins Totenreich mit dir, wo du hingehörst!“

Nach diesen Worten stellt sich der Nekromant noch einmal auf seine Brust und drückt ihn in das dreckige Wasser. Länger als zuvor muss der Mann mit seinem verbleibenden Atem auskommen, bevor Xenos ihn wieder auftauchen lässt. Der eindringlich böse Blick des Jungen wiederholt seine Frage, ohne dass er sie erneut aussprechen muss. Der Mann in der ehemals weißen Robe bricht sein Schweigen jedoch nicht. Daraufhin hält ihm der schwarzhaarige Junge die Spitze seines Dämonenschwertes an die Kehle. Der Göttergefällige verharrt regungslos, während die Klinge vorsichtig sein Brustbein hinunter fährt. Über Xenos‘ Gesicht zieht sich ein Lächeln, als er das Amulett mit der Dämonenwaffe anhebt.

„Wisst Ihr, ich kann diese Tortur ewig fortsetzen, wenn Ihr nicht kooperiert. Ich werde Eure Seele nach Eurem Tod wieder an Euren Körper knüpfen und Euch in mein Verlies bringen lassen. Dort stelle ich persönlich jemanden …“

„Nein!“, bricht der Mann plötzlich sein Schweigen.

Xenos kann ein verächtliches Lachen nicht unterdrücken.

Plötzlich fleht er den Jungen an: „Bitte, alles was du willst, aber lass mich gehen, wenn ich sterbe.“

Der Nekromant wird lauter: „Dann sagt mir, was ich hören will!“

Ein letztes Mal zögert der Kleriker, bevor er Xenos erzählt, was dieser wissen möchte. Flussaufwärts führt Clavius Meres mit vier Anhängern ein Ritual durch, welches das Flussbett zu heiligem Boden macht. Das durch diesen Bereich fließende Wasser wird zu Weihwasser. Nachdem er alles erzählt hat, lässt der Junge von ihm ab. Erschöpft, doch erleichtert fällt der Mann zurück ins Wasser. Xenos kennt nun sein Ziel. Er wendet sich von dem Kleriker ab und lässt ihn zum Sterben zurück.

Xenos muss auf die andere Flussseite. Eine Möglichkeit wäre der errichtete Damm der Inquisition. Hier sieht er jedoch keine Chance, ihn als Überweg zu nutzen. Er ist das Herzstück des Angriffs und die anderen haben bereits versucht, ihn den Feinden zu entreißen. Es gibt jedoch einen anderen Weg. An einem Steg an den Docks liegt ein kleines Holzboot, welches die Falkenbacher als Fähre nutzen. Über eine Kette unter Wasser sind beide Uferseiten miteinander verbunden. An dieser Linie wird das Boot herübergezogen und treibt durch die Verankerung bei der starken Strömung im Falkenbach nicht ab.

Der Junge kämpft sich zu dem abgelegenen Steg vor. Direkt am Wasser ist er ganz allein. In der Strömung des hüfthohen Wassers hat er große Mühe, nicht fortgerissen zu werden. Seine Kleidung ist komplett durchnässt, sein gesamter Körper schmerzt höllisch in Reaktion auf das heilige Wasser. Auf der Wasseroberfläche treibt das kleine Fährboot. An der Kurbel für die Kette zieht sich der Junge ins Trockene und verspürt einen Moment der Erleichterung, die Fluten verlassen zu haben.

Zwischen den Bäumen auf der anderen Seite erspäht er geschäftiges Treiben. Noch immer arbeiten Freiwillige der Inquisition am Ausbau des Dammes, den sie mittlerweile den Hang am Ufer hinauf bauen. Mit gefällten Bäumen und großen Mengen Vegetation und Erdreich schütten sie einen durchgängigen Hügel auf. Dem Boot schenken sie keine Beachtung. Vermutlich wissen sie von seinem Zweck, fühlen sich jedoch sicher, da die Docks bereits in ihren Händen sind. Solange wie möglich will der Junge sie in diesem Glauben lassen. Er legt sich ins Boot hinein, um nicht gesehen zu werden. Dann greift er nach der Kurbel an der Seite, mit der das Boot entlang der Kette gezogen wird. Er löst die Blockierung und macht sich langsam auf zum anderen Ufer.

Noch bevor er es erreicht, hört er, dass die Inquisition das herannahende Boot bemerkt hat. Immer mehr Soldaten versammeln sich an Ankunftsort.

„Wer kommt herüber?“, ertönt es plötzlich laut in Xenos‘ Richtung. „Gebt Euch zu erkennen oder wir greifen das Boot an.“

Der Junge schweigt, doch er muss sich schnell etwas einfallen lassen. Es ist nur noch ein kleines Stück bis zum anderen Ufer, als plötzlich ein Pfeil direkt neben ihm einschlägt, nur eine Hand breit von seinem Bein entfernt. Schon schlägt ein zweiter Pfeil ein und durchbohrt seine linke Schulter. Vor Schreck und Schmerz schreit der Junge auf. Er muss zum Gegenangriff übergehen. Als er sich erhebt und zum anderen Ufer schaut, schrecken ein paar der Soldaten zurück. Seine Robe, sein Gesicht, er ist der Nekromant, die gefährliche Bestie von Falkenbach.

Dem Boot zugewandt, entfesselt Xenos eine Druckwelle. Das Holz splittert, Wasser spritzt und der Junge stößt sich in die Luft in Richtung Ufer. Er katapultiert sich über die wartenden Gegner hinweg und fliegt durch die Baumkronen des dahinter liegenden Waldes. Mit lautem Knacken bricht er durch die Äste und landet unsanft auf dem glücklicherweise doch recht weichen Waldboden, der durch das Wasser bereits schlammig, gar sumpfig wird. Schnell richtet er sich auf. Der Pfeil in seiner Schulter ist abgebrochen, Blut rinnt über seine Kleidung. Schon umzingeln ihn die Inquisitionssoldaten.

Mit zwei Fingern fährt er über die blutende Pfeilwunde und beißt sich auf die Zunge: „Angenehm trocken habt ihr es hier drüben noch, verglichen mit unserer Stadt auf der anderen Seite.“

Die Soldaten richten ihre Waffen auf den Jungen, zögern jedoch. Sei es aus Angst oder anderen Gründen.

„Ich nehme an, meinen Dienern würde es hier auch viel besser gefallen“, führt Xenos mit starkem Unterton weiter aus. „Habt ihr was dagegen, wenn ich sie einlade vorbeizuschauen?“

Die Augen der Männer um ihn herum werden weit. Blitzschnell zieht Xenos den abgebrochenen Rest des Pfeils aus seiner Schulter, unterdrückt noch einmal seinen Schmerz und drückt seine Finger in die Wunde. Das Blut quillt hervor. Mit seinen in Rot getränkten Fingern kniet er sich nieder und zeichnet unter sich ein Beschwörungssigill. Den Soldaten wird klar, es gibt kein Zurück mehr. Mit lautem Kampfgeschrei stürmen sie von allen Seiten auf den Jungen zu. Doch es ist zu spät. Kurz bevor sie ihn aufhalten können, beginnt das Sigill zu leuchten.

„Kommt meine Diener“, murmelt Xenos mit kalter, monotoner Stimme, bevor er laut seine Befehle äußert. „Zerschlagt die Inquisitionsarmee! Lasst fliehen, wer sich zurückzieht, und nehmt gefangen, wer sich nicht ergeben will.“

Bewusst gibt sich der Junge nachsichtig, obwohl er weiß, dass seine Diener diesen Befehl nur bedingt erfüllen können. Der Großteil der ihm gegenüberstehenden Leute sind noch immer Bauern und Bürger der umliegenden Städte. Vielleicht wird der ein oder andere von ihnen am Ende dieses Tages doch umdenken.

Schon erscheint eine nicht enden wollende Menge Untote um Xenos, die den Soldaten entgegenstürmt. Der Nekromant hat sie aus der Oberstadt auf der anderen Uferseite beschworen und so hinter die Reihen der Inquisition gebracht. Sofort erfüllt Schlachtenlärm den Wald. Schreie, Schwerterklirren und das Röcheln dem Tode Naher. Erste Soldaten scheinen ihre Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Die Inquisition hat ihren Vorteil verloren. Nun muss Xenos nur noch Inquisitor Clavius Meres finden.


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika, Shovi
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.09.2021
Zuletzt bearbeitet: ———
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