Kapitel 14 – Heres‘ Sohn

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Alles ist in unendliche Dunkelheit gehüllt. Kein Lichtschein ist zu vernehmen.

„Bald ist es soweit“, berichtet eine dunkle, dröhnende Stimme. „Der auserwählte Junge erreicht das Zentrum Atra-Regnums, die Kaiserstadt.“

Eine hellere, weiche Stimme mit bösem Nachklang antwortet: „Ja, Papa, dann werden wir unser Ziel erreichen.“

Die dunkle Stimme atmet ein: „Wir werden beobachtet.“

Ein Funken durchbricht die Schwärze und lässt eine Fackel aufflammen. Das gleißende Licht des Feuers blendet. Es schmerzt in den Augen. Blitzschnell öffnet Xenos die Augen, die er eben noch zusammengekniffen hatte, und schreckt aus seinem Bett hoch. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Schweißgebadet fällt er zurück ins Bett.

Er hebt seine Hand und betrachtet sie. „Ein Traum. Aber er fühlte sich so real an. Wer hat dort gesprochen? Ich kenne diese Stimmen nicht. Eine der Stimmen klang kindlich. Kindlich. Böse.“

Noch eine Weile bleibt der Junge liegen, die Hand auf seine Stirn gelegt, um das einfallende Sonnenlicht etwas fernzuhalten. Schließlich rafft er sich auf und geht ins Bad. Er betrachtet sich im Spiegel und beginnt sich frischzumachen.

„Zimmerservice!“, klopft es an der Tür.

Die luxuriöse Herberge in Anchor lässt wirklich keine Wünsche offen. Schnell wirft sich Xenos einen Bademantel über. Die Ärmel rutschen ihm weit über die Hände und der Saum schleift über den Boden. Der Junge öffnet die Tür. Ein Dienstmädchen begrüßt ihn mit einem Lächeln und deutet auf den Servierwagen, den sie vor sich herschiebt.

„Was darf es heute Morgen für Euch sein, junger Herr?“

Junger Herr. Diese schlichte Anrede scheint Xenos besser zu gefallen als alles, womit er bisher angesprochen wurde. Es erinnert ihn an früher. Zufrieden schaut er sich an, was sich auf dem Wagen finden lässt. Von einfachem Käse über edlen Kaviar bis hin zu Torte steht alles auf dem Servierwagen des Dienstmädchens. Einen Moment liebäugelt er mit einem Stück der wunderschön verzierten Torte, hält sich jedoch zurück. Xenos erinnert sich an das, was seine Mutter Azarni immer zu ihm sagt, wenn er etwas Süßes statt einer ordentlichen Mahlzeit möchte. Schließlich bestellt er eine Portion Rührei sowie ein belegtes Brötchen und ein Glas Milch. Das Dienstmädchen stellt ihm ein Silbertablett zusammen und reicht es ins Zimmer. Er nimmt das Tablett entgegen, zögert einen Moment und bestellt doch noch ein Stück von der leckeren Torte. Das Mädchen muss schmunzeln und reicht ihm das Stück Torte. Mit einem leichten Knicks verabschiedet sie sich.

Xenos schaut auf sein reichlich gedecktes Tablett und nimmt es zum Tisch in seinem großen Zimmer. Er setzt sich auf das Sofa und beginnt zu essen. Durch das Fenster neben ihm kann er das rege Treiben auf den Straßen beobachten, woran er aber nur wenig Interesse zeigt. Noch immer beschäftigt ihn der Traum. Nach dem Essen verschwindet er noch einmal kurz im Bad um sich anzuziehen, packt danach seine Sachen, macht sein Bett und verlässt das Gasthaus. Sein Ziel, Ira, hat er sich bereits auf der Karte markiert.

Vor den Toren von Anchor setzt er sich schließlich auf sein Pferd und folgt dem sandigen Weg über die dicht bewachsene Ebene, welcher sich bis zum Horizont erstreckt. Schon nach kurzer Zeit hat er ein eigenartiges Gefühl. Er fühlt sich verfolgt. Beobachtet. Doch egal wie genau er sich umschaut, er kann niemanden entdecken.

Seine Gefühle täuschen ihn jedoch nicht. Er wird beobachtet. Durch eine Kristallkugel folgt man seinem Galopp über die sattgrüne Ebene. Diese Kugel ist das einzige Objekt, welches sein schwaches Licht in den sonst tiefschwarzen Raum ausstrahlt. Den Raum aus Xenos‘ Traum.

Das Licht der Kugel fällt direkt ins Gesicht einer furchterregenden menschenähnlichen Kreatur. Jedem, der jemals einen Blick von diesem erhascht, wird allerdings klar, dass dieses Wesen kein Mensch ist. Das Gesicht sieht furchtbar entstellt aus. Die Haut ist grau-rötlich sowie rissig und von tiefen Falten durchzogen. Aus den Augen rinnt dunkelrotes Blut. Die schwarzen Haare sind lang und dünn. Unter- und Oberlippe scheinen komplett zu fehlen, was faulige, spitz zulaufende gelbe Zähne zum Vorschein bringt. Diese Kreatur muss ein Dämon sein!

„Siehst du diesen kleinen, erbärmlichen Menschenwurm dort unten, mein Sohn?“

„Ja, Papa“, antwortet die helle, weiche Stimme, welche noch immer in vollkommene Dunkelheit gehüllt ist.

„Bald schon, bald schon wird ganz Atra-Regnum sich vor uns auf die Knie werfen!“, äußert sich der riesige Dämon mit einem lauten bösen Lachen, das in der unendlichen Tiefe des Raumes verhallt.

„Ja, Papa, so wird es sein.“

„Diese lästigen Erdbewohner haben gegen unsere Überzahl und Stärke keine Chance! Sie haben gar kein Recht, eine ganze Welt für sich zu beanspruchen. Es wird ein Genuss, diese unwürdigen Lebewesen ein für allemal zu unseren Sklaven zu machen. Dann werde ich, Heres, Dämonenfürst der Erde, über diese Welt herrschen!“

„Ich kann es kaum noch erwarten, Papa“, kichert es hell.

„Das ist mein Sohn! Komm zu mir“, winkt ihn der entstellte Dämon zu sich.

Leise hört man kleine Schritte immer näher kommen. Das fahle Licht lässt blonde Haare aus der Dunkelheit hervortreten, als die zuvor helle Stimme vor dem gewaltigen Dämon stoppt. Das Gesicht sowie der Rest des Körpers sind nach wie vor in Schwarz gehüllt. Es ist eine recht kleine Person. Ein kleiner Junge. Der Dämon hebt seine riesige Hand mit den langen scharfen Krallen und legt sie auf den Kopf des Kindes.

Zufrieden schaut er hinab: „Du wirst mich nicht enttäuschen, das weiß ich. Du bist der einzige meiner Untergebenen, dem ich wirklich vertraue. Mein kleiner Dämonensohn.“

„Jawohl, Papa“, nickt der Junge leicht.

Mit diesen Worten verschwindet auch das blonde Haar wieder in der unendlichen Schwärze. Die kleinen Schritte entfernen sich und werden immer leiser, bis sie schließlich komplett verhallen.

Der finstere Dämon schaut wieder in seine Kristallkugel. Xenos reitet nach wie vor im schnellen Galopp voran. Wahrscheinlich fühlt er sich nach wie vor beobachtet.

Heres beginnt zu murmeln: „Kleiner dummer Junge. Reite weiter! Reite scheller! Reite in deinen Untergang! So naiv. Ein Nekromant will er sein? Hah! – Alles, was dieses Kind kann, sind ein paar kleine Zaubertricks. Er war nicht mal annähernd in der Lage, dem schwachen Geisterwolf meines räudigen kleinen Bruders etwas anzuhaben. Mir ist er erst recht nicht gewachsen. Mir und meiner Armee erstklassiger Dämonen, Geister und Ghule. Für den Verrat am Reich der Toten wird mein Bruder allerdings auch noch büßen müssen.“

Er brüllt laut auf vor bösem, furchterregendem Lachen.

In diesem Moment rollt sich Xenos vom Pferd ab ins Gras am Wegrand. Das Pferd rennt ohne Xenos weiter. Nur einen Augenblick später gibt es im ganzen Gebiet unzählige Detonationen. Der ohrenbetäubende Lärm und die Hitze der Explosionen sind unerträglich. Die Kristallkugel im Reich der Toten springt. Immer mehr Risse zeichnen sich auf ihr ab. Das Bild wird immer unklarer, beginnt zu wackeln und immer wieder kurz auszusetzen. Schließlich gibt es keine weiteren Explosionen mehr und der Staub legt sich. Xenos schaut direkt hoch in den Himmel, in die Kristallkugel, als das Bild verschwindet und die Kugel im Totenreich in zehntausend kleine Teile zerspringt.

Ein kleiner Augapfel wird sichtbar und fällt zu Boden. Die Gräser und Büsche ringsum sind verbrannt, die ganze Landschaft ist zerstört. Xenos klopft sich den Schmutz von seiner ruinierten Kleidung. Seine Vermutung hat sich bestätigt. Und er ist sich auch sicher, dass sein Traum heute Morgen nicht nur ein Traum war. Der Junge schaut sich noch einmal um und begibt sich dann zu Fuß auf den Weg nach Ira. Erst spät in der Nacht wird er das Dorf erreichen.

Währenddessen in einer anderen Instanz im Totenreich…

Fackeln säumen den Weg, welcher in eine Art Zeltlager führt. Umgeben wird jeder nicht beleuchtete Fleck von der Schwärze des unendlichen Raumes. Es ist voll von Dämonen und Geistern, die alle schlimmer aussehen als in den übelsten Albträumen. Über den Boden aus Geröll ziehen vereinzelt dünne Nebelschwaden. Hin und wieder stehen vertrocknete Steppengräser an den Zelten und am Wegrand. Kleine Schritte nähern sich dem von Fackeln gesäumten Weg, als plötzlich vor der ersten Fackel eine Nekomata, eine Katze mit zwei Schwänzen, auftaucht und auf die ihr entgegenkommenden Schritte zugeht und so im Dunkeln verschwindet. Dann verstummen die Schritte der Beiden im Dunkel.

Die Katze äußert sich: „Warum tust du das? Miau. Warum unterstützt du Heres?“ Einen Moment hört man nichts, dann äußert sich die helle und doch böse Stimme von Heres‘ Sohn.

„Wir Dämonen …wir Dämonen haben ein Anrecht auf diese ekelhafte Welt der Lebenden! Diese dummen Menschen, Elfen und Orks haben ihre Welt gar nicht verdient! Sie verdienen nicht einmal das Leben! Versteh das doch endlich, Iota. Wenn nicht, dann lass mich in Ruhe! Geh zurück zu Ignis, diesem Bastard.“

In die Stimme des Kindes mischt sich Wut.

Erneut äußert sich die Katze: „Du bist kein Dämon! Erkenne es doch endlich! Du bist keiner von uns! Du gehörst nicht hier her.“

Nach diesen Worten gibt es nur noch ein kurzes Geräusch. Stahl trifft auf Fleisch. Blut spritzt in den Lichtkegel der Fackeln, kurz danach rollt auch der Kopf der Katze ins Sichtbare.

„Ich habe dich mehrfach gewarnt, Iota. Du solltest nicht wiederkommen“, spricht die verbleibende Stimme in Rage. „Und erst recht sollst du mich nicht in Frage stellen. Ich bin ein Dämon!“


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.01.2016
Zuletzt bearbeitet: 13.11.2019
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