Kapitel 10 – Dämonische Schlachtzüge

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Noch Stift und Papier in der Hand, schaut Xenos zur Decke, wo die eigenartigen krabbelnden Geräusche herzukommen scheinen. Als er den Ursprung derer ihm entgegenfallen sieht, rollt er sich im letzten Moment zur Seite weg und zieht sein Schwert. Vor dem Nekromanten steht eine merkwürdige, menschenähnliche, doch mit schwarzen, kurzen Haaren bewachsene Kreatur. Sie läuft auf vier Händen und besitzt keinen Kopf. Das Monster erinnert an eine Spinne. „Daher kommen also die ganzen Spinnweben hier unten“, stellt Xenos fest. Im selben Augenblick setzt die Kreatur zum Sprung an und fliegt auf den Jungen zu. Dieser sieht nun auch die Bauchseite, welche ein einziges riesiges Maul mit spitzen Zähnen zu sein scheint. Mit einem Schwertschlag schneidet er dem Angreifer einen der vier Arme ab. Jaulend, kreischend fällt das Monster auf die Seite. An dem Stumpf versucht sich aus schwarzen Fasern scheinbar ein neuer Arm zu bilden. Doch dem entgegen wirkt der Effekt von Xenos‘ Dämonenschwert. Neben dem Verursachen nekrotischer Wunden als besondere Fähigkeit ist das Schwert, wie Nekomarus Sense auch, besonders effektiv gegen magische Objekte und Kreaturen. Sehr langsam regeneriert sich das Gewebe des Monsters. Mit einigen weiteren Schwerthieben zerstört er die Kreatur vollständig. Xenos packt seine Sachen zusammen, um das Archiv zu verlassen. Er hört bereits weiteres, immer näher kommendes Krabbeln anderer Spinnenmenschen. Die Schmerzensschreie ihres Artgenossen müssen sie angelockt haben.

Im Erdgeschoss der Bibliothek angekommen, bemerkt Xenos schnell, dass sich um das Gebäude nun noch viel mehr Untote drängen. Sie versuchen hineinzukommen. Vermutlich ist er aufgeflogen. Wie soll er jetzt von hier entkommen? Schnell fasst der Nekromant einen Plan und rennt ins oberste Geschoss der Bibliothek. Er öffnet eines der hohen Fenster und schaut auf die Straße hinab. Rings um das Gemäuer sind nur noch Tote zu sehen, die dicht an dicht auf der Stelle wanken. Der Junge fasst all seinen Mut zusammen, nimmt Anlauf und springt aus dem Fenster des dritten Stockes. Mit seinen Händen bekommt er gerade so das Fensterbrett des anvisierten gegenüberliegenden Gebäudes zu fassen. Doch er rutscht ab. Xenos versucht am Relief des Hauses neuen Halt zu finden, doch ist es ihm nicht möglich sich zu fangen. Schließlich landet er auf dem nächsten Fensterbrett, einen Stock tiefer. Außer einigen schlimm aussehenden Abschürfungen und Prellungen ist ihm nichts passiert. Das Gleichgewicht haltend, rafft er sich auf und schlägt mit seinem Ellenbogen die Scheibe ein. So kann der junge Nekromant das Fenster öffnen und den Blicken der Untoten auf der Straße unter ihm entwischen.

Er findet sich in einem Labor der Akademie wieder. Alles hier wurde stehen und liegen gelassen. Es kommt Xenos vor, als würden hier noch immer Experimente stattfinden. Eine Weile schaut er sich um. Mit den ganzen Geräten, Apparaturen und Objekten kann er nicht viel anfangen, aber es fasziniert das Kind. Dann entscheidet er sich weiterzugehen. Der nächste Ausgang aus dem Bezirk wäre der Weg in den dritten Ring – das Schloss. Wenn Xenos auf Heres oder Nekomaru trifft, dann dort. Gerade das will er aber eigentlich vermeiden. Jedoch hat er keine andere Wahl. Er begibt sich ins Erdgeschoss, zur Rückseite des Gebäudes und öffnet leise eines der Fenster, aus welchem er raus auf die Straße krabbelt. In dieser Nebengasse ist keine einzige Kreatur zu sehen. Nur gut für Xenos, der sich leisen Schrittes zum Tor in den dritten Ring aufmacht.

Dort angekommen, ist seine Verwunderung groß. Auch hier sind nur wenige Kreaturen zur Patrouille unterwegs. Viel weniger als er erwartet hat. Er würde wirklich gern einmal ins Schloss schauen. Dann kommt ihm eine Idee: „Wenn Nekomaru im Schloss ist, kann ich ihn mit meinem ‚Lebenszeichen‘-Zauber aufspüren. Er meinte zuvor, er sei ein Dämon, was zwar heißen würde, dass mein Zauber ihn nicht entdeckt, aber das habe ich ihm von Anfang an nicht geglaubt. Lebenszeichen!“ „Nichts zu sehen“, murmelt Xenos: „Das heißt, er ist nicht hier. Und wenn doch, ist er vielleicht doch ein Dämon. Na ja, wie könnte er sonst auch der Sohn eines Dämonenfürsten sein oder im Totenreich leben. Dämonen können auch Menschengestalt annehmen. Vielleicht ist das, was ich von ihm kenne, gar nicht seine wahre Form. Ich sollte auf jeden Fall sehr vorsichtig darin sein.“

Mit leisen Schritten schleicht der Junge durch die hohen Hallen des Palastes. Immer bereit, auf plötzliche Angriffe zu reagieren. Schließlich steht er im ehemaligen Thronsaal. In seinem Traum mit Ayame waren Heres und Nekomaru genau in diesem Raum. Auf der großen Tafel in der Mitte des Saales liegt neben einigen Büchern und Dokumenten auch eine große Karte. Die Karte zeigt Atra-Regnum. Viele verschiedene Orte auf dem gesamten Kontinent wurden markiert. An jeder Markierung steht ein Datum. „Was bedeutet diese Karte? All diese Daten sind aktuell. Entweder liegen sie einige Tage bis Wochen zurück oder es sind zukünftige Daten. Auch die Kaiserstadt ist markiert. Sie trägt das älteste Datum. Jedes Datum nach dem der Kaiserstadt ist verteten. Städte wie Soma, Inev und Genor tragen das Datum des heutigen Tages. Sie liegen alle im Norden des Kaiserreiches. Sogar Volar trägt eine Markierung! Doch dieses Datum liegt noch ein ganzes Stück in der Zukunft. All diese Städte scheinen eine Relevanz für Heres zu haben. Die Kaiserstadt – das Datum ist überschritten. Was war an diesem Tag?“ Xenos rechnet zurück und versucht die letzten Wochen zu rekonstruieren. Dann läuft ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Das ist der Tag, an dem die Kaiserstadt fiel! Alle diese Orte sind Angriffsziele! Dass mir das erst jetzt klar wird! Stimmt, man berichtet schon länger über weitere Angriffe, in denen das Totenreich Gebiete eroberte.“ Der Junge sucht auf der großen Karte nach den Orten, von welchen er bereits gehört hat, dass sie angegriffen wurden. Tatsächlich findet er viele dieser Orte, markiert auf der Karte, mit zurückliegendem Datum. Xenos schüttelt sprachlos den Kopf. Sein Blick fällt auf die anderen Dinge auf dem Tisch. Viele Bücher und Dokumente stammen aus dem Archiv der Akademie, dem Senat und den Unterlagen des Kaisers. Von Truppenbewegungen über strategisch wichtige Städte und Straßen bis hin zu Verträgen zwischen den Ländern Atra-Regnums und magischem Wissen der Lebenden lässt sich hier alles finden.

Ein Bücherbündel fällt Xenos besonders ins Auge: „Unter strengster Geheimhaltung: Notverordnung zur Aufrechterhaltung der Regierungsgewalt im Fall des Falls der Kaiserstadt zur Vermeidung anarchistischer Ausartungen im Kaiserreich.“ Es kommt aus dem Archiv der geheimen Dokumente, in welchem Xenos war, um über Ayame zu lesen. Das Bücherbündel besteht aus drei Büchern. Band 1 DIE FÜRSTEN, Band 2 DER KAISER und Band 3 DER SENAT. Sie sind sehr alt. Band 1 und 2 wurden geöffnet, Band 3 DER SENAT ist noch originalversiegelt. Heres‘ Interesse galt scheinbar vor allem dem Kaiser als oberste Instanz Atra-Regnums. Xenos überfliegt die Bücher und öffnet dafür auch das Siegel von Band 3.

Fällt die Kaiserstadt, fliehen Kaiser und Senatoren zu zwei verschiedenen, vorbereiteten und jederzeit einsatzbereiten Orten. Der Kaiser flieht dabei zur Festung Götterruh, einer Festung in den Jaril-Bergen im Nordosten des Kaiserreiches. In den ersten Wochen sollen die Fürsten in kompletter Eigenverantwortung ihr jeweiliges Fürstentum verwalten. Auseinandersetzungen und große Umstrukturierungen müssen in dieser Zeit vermieden oder pausiert werden. Die Fürsten sollen die öffentliche Ordnung aufrechterhalten bis die „obere Herrschaft“ die Regierung wieder übernehmen kann. In die obere Herrschaft hat Heres zweifellos den Kaiser hineininterpretiert. Doch im dritten Buch DER SENAT steht eine genauere Erläuterung – Wissen, welches Heres fehlt. Vor dem Kaiser übernimmt der Senat die zentrale Regierung. Sein Sitz befindet sich in Bad Raburg, in der Nähe des Arehsees im Norden des Kaiserreiches. Erst, wenn der Kaiser den Senat besucht, stellen sich die alten Machtverhältnisse wieder her. Der Kaiser regiert als oberster Herrscher und der Senat bildet die Opposition und berät den Kaiser. Zwar ist der Senat angesehen und wichtig, hat aber, solange ein Kaiser an der Macht ist, nur wenig Bedeutung. Nur in Ausnahmesituationen, wie die Zeit bis zur Krönung eines neuen Kaisers oder eben in Zeiten wie diesen, übernimmt er die oberste Politik. Mit der Unterschätzung des Senats hat Heres einen gewaltigen Fehler begangen.

Noch befindet sich das Kaiserreich in der ersten Phase. Die Fürsten haben die Kontrolle. Heres wird versuchen zu verhindern, dass der Kaiser, als seiner Meinung nach „obere Herrschaft“, die Kontrolle wieder übernimmt. Ein Kaiserreich, das nicht zentral, sondern von vielen einzelnen Leuten regiert wird, ist wesentlich leichter zu zerbrechen. Doch der Kaiser wird vorerst gar nicht daran denken, die Regierungsgeschäfte wieder zu übernehmen. Er weiß genau, dass es besser ist, sich momentan auf seine Senatoren zu verlassen, die ohne Heres‘ Wissen bald die Kontrolle übernehmen werden.
Ein leichtes Grinsen zieht über Xenos‘ Gesicht und er wirft einen Blick auf die Karte. Wie er es sich dachte. Ein Angriff auf Bad Raburg ist gar nicht geplant. Die Stadt ist normalerweise in sämtlichen Erwähnungen zweifellos unbedeutend. Durch sie führen keinerlei wichtige Versorgungsrouten, es sind keine Truppen stationiert und sie liegt im Grunde nur irgendwo in Nirgendwo. Bis man das dritte Buch liest, ist sie also strategisch nicht beachtenswert. Anders sieht es mit Festung Götterruh aus, die Festung, in der der Kaiser Zuflucht findet. Eine stark bewachte, als schier uneinnehmbar geltende Verteidigungsanlage in schwierigem Gelände. Auf sie ist ein Angriff geplant, und als Xenos das Datum liest, stockt ihm der Atem: „Das ist in zwei Tagen! Heres wird den Kaiser in zwei Tagen angreifen. Die Festung ist scheinbar ein wahres Bollwerk, aber das weiß auch Heres. Dementsprechend wird er mit aller Härte angreifen. Ich muss die Informationen weitergeben!“

Schnell steckt er das Buch 3 DER SENAT in seine Tasche. Heres darf es niemals lesen. Xenos dreht sich zur Tür und will das Schloss verlassen, als plötzlich, leise fluchend, ein kleiner, dicker Dämon mit dunkelgrüner Haut und schweineähnlichen Gesichtszügen um die Ecke in den Thronsaal kommt. Als der Dämon den Jungen bemerkt, wirft er seine Unterlagen, welche er mitgebracht hat, vor Schreck versehentlich hoch. „Wer bist du denn? Was hast du hier verloren“, spricht er mit kratzig knartschender Stimme: „Du bist aber keiner von uns!“ Die beiden stehen sich gegenüber und wissen nicht wirklich, was jetzt zu tun ist. „Wer bist du“, fragt Xenos. „Ignar, engster Vertrauter und rechte Hand des großen Herrschers Heres. Und du?“ „Xenos.“ „Xenos? Oh nein“, reagiert er panisch: „du bist doch der Bengel, um den dieser nichtsnutzige Nekomaru sich kümmern sollte! Ich habe es dem großen Herrscher schon immer gesagt. So ein Menschenjunge ist zu nichts zu gebrauchen!“ „Was redest du da? Nekomaru ist kein Dämon?“ „Natürlich nicht. Bist du blind? Das bemerkt doch jeder sofort“, spricht Ignar wütend: „Dieser kleine Parasit bildet sich das doch alles nur ein. Er hat in unseren Reihen nichts zu suchen, aber Heres hört nicht auf uns. Wir waren schon von Anfang an dagegen, dass Heres ihn zu sich holt.“ Xenos schweigt. „Ich wäre froh, wenn er endlich verschwindet, diese kleine Zecke. Denkt ständig, er wäre etwas Besonderes, nur weil Heres einen Narren an ihm gefressen hat. Viele von uns hatten gehofft, dass er im Krieg schnell fällt. Aber nein, Ungeziefer wird man eben nicht so einfach los.“ Xenos schüttelt mit dem Kopf: „Da hast du wohl recht. Ist einmal Ungeziefer im Haus, macht es sich schnell überall breit. Da wisst ihr sicher am besten Bescheid.“

In diesem Augenblick zieht Xenos sein Schwert und greift den Dämon in Xenos‘ Größe an. Dieser schreit auf und rennt aus der Tür, raus auf den Gang. „Spiritus mouit“, ruft Xenos und schlägt vor sich. „Aua! Bist du blöd? Hör auf! Lass mich in Ruhe, du wertloses Menschenkind.“ Über die Gänge verfolgt Xenos ihn weiter. „Du spuckst ganz schön große Töne dafür, dass du wegrennst wie ein Kaninchen vor einem Fuchs.“ „Halt die Klappe! Ich werd’s dir und deiner Rasse schon noch zeigen, verlass dich drauf.“ Mit diesen Worten biegt Ignar nach links ab und verschwindet in einem hohen Raum. Xenos folgt ihm weiter und rennt ebenfalls durch die offene Tür. Doch dort bremst er abrupt ab und sieht Ignar nur noch in einem Portal verschwinden. Mitten im Schloss steht eine Pforte ins Reich der Toten. Von hier aus kommen die Kreaturen in die Kaiserstadt und von der Kaiserstadt zurück ins Totenreich. Schnell dreht sich Xenos um und rennt weg. Er gibt die Verfolgung von Ignar auf. Wer weiß, was ihn gleich aus dieser Pforte entgegenkommen könnte. Der Nekromantenjunge will es auf jeden Fall nicht herausfinden. Er hat genug Informationen gesammelt. Mehr sogar als ihm lieb waren. Diese muss er schnell an die Öffentlichkeit bringen.

So verlässt er die Kaiserstadt über die Ostbezirke. Wie er mittlerweile erwartet hat, gibt es auch im östlichen Innenring nur wenige Kreaturen, denen er aus dem Weg gehen muss. Noch im östlichen Außenbezirk merkt er, wie die Stadt hinter ihm langsam unruhiger wird. Es war eine gute Entscheidung jetzt zu fliehen. Mittlerweile weiß sicher die ganze Stadt über den Eindringling Bescheid.


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.04.2017
Zuletzt bearbeitet: 02.05.2017
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