Kapitel 4 – Unruhe an der Westgrenze

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Entlang der Grenze des Kaiserreiches zum Ödland-Reich, der Heimat der Orks, fragt sich Xenos durch. Er reist mit dem Teleportnetzwerk von Stadt zu Stadt und versucht die Region aus seiner Vision zu finden. Irgendwo hier muss der Ort sein, an dem er seine Schwester Ayame gesehen hat. Schließlich landet er in Moavir. Hier, so hat er gehört, soll eine Truppe Orks ihr Lager aufgeschlagen haben. In der Nähe gibt es eine alte Burgruine. Das passt sehr gut zu dem, was er sah. Schon nach wenigen Momenten fühlt er, dass er endlich am richtigen Ort ist. Moavir ist eine sehr ländlich anmutende Stadt weit im Nordwesten des Kaiserreiches. Zweistöckige Häuser mit unverputzten Klinkerfassaden und ungerade Straßen gepflastert mit Feldsteinen prägen das Stadtbild. Eine Mauer besitzt der Ort nicht.

Das Orklager, von dem Xenos gehört hatte, muss er nicht lange suchen. Bis zum Rand der Stadt ist es nicht weit. Sie liegt auf einer großen Ebene voller Wiesen und Felder. Vor kurzem war es hier sicher noch idyllisch. Nun liegt direkt an der Stadtgrenze das Armeelager der Orks. Teilweise verschmilzt es mit den Häusern. Grün-braune Zelte aus groben Stoffen oder zusammengenähten Tierhäuten überspannen den Boden. Eine ganze zweite Stadt ergänzt sich um die eigentlich überschaubare Siedlung.

Auf den Straßen sind viele Orks unterwegs. Ihr Zahl übersteigt die Zahl der hauptsächlich menschlichen Einwohner sichtbar. Dennoch scheinen alle gut miteinander auszukommen. Im Alltag ergänzen sie sich, helfen einander und treiben gar Handel. Zum einen ist es nicht verwunderlich. Orks und Menschen leben in Frieden miteinander. Die Grenzen sind offen. Andererseits handelt es sich bei diesen Orks klar um Soldaten statt um Händler oder Reisende. Eine ganze Armee, die die Grenze überschreitet, kann durchaus für Unmut sorgen.

Xenos fragt sich, ob der Prophet noch zugegen ist. Wie vereinbart, sollte er zuerst hier sein, um die Orks davon abzuhalten, die Burgruine neben Moavir anzugreifen. In seiner Vision wird dort seine Schwester Ayame gefangen gehalten. Beim Angriff der Orks würde sie jedoch sterben. Wie sich gezeigt hat, hat der Nekromant durchaus wahre Dinge gesehen.

Kurzerhand spricht er einen Passanten an: „Entschuldigt, mein Herr, habt Ihr zufällig einen älteren Mann mit weißem Haar und dunkelgrauem Umhang in der Stadt gesehen?“

„Alte Männer viele“, erwidert der Mann. „Aber niemanden, der einen Umhang oder dergleichen trug. Tut mir leid, mein Junge.“

Eine rothaarige Frau hört das kurze Gespräch am Rande mit. Sie sitzt auf der Schwelle eines Hauseingangs, neben ihr ein abgesetzter Tragjoch mit zwei Wassereimern.

Sie erhebt sich und kommt auf Xenos zu: „Ein Mann mit Umhang? So wie deiner? Die Orks haben erzählt, dass sie nachts in ihrem Lager eine Person mit einem Umhang umherlaufen sehen haben. Vielleicht hilft dir das.“

Xenos nickt: „Ja, ganz ähnlich. Vielen Dank! Dann werde ich mich dort umhören.“

Für den Jungen wäre es von Vorteil, sich zuerst mit dem Propheten abzusprechen. Er weiß sicher einiges mehr. Sich blind zur alten Burg aufzumachen und hineinzustürmen, ist keine gute Idee. Laut seiner Vision wimmelt es dort von Kultisten. In seinem Kopf malt er sich bereits Pläne aus, ob er einige Orks für seine Sache gewinnen kann. Gemeinsam könnten sie einen Überfall vorbereiten und Ayame befreien. Doch schon während er durch das Zeltlager der Orks streift, wird er von vielen Orks misstrauisch von der Seite beäugt. Sie zu überzeugen, wird wohl nicht einfach werden. Immer wieder vernimmt er ein abfälliges Schnauben. Die Soldaten bringen ihm geradezu offen ihre Missgunst entgegen. Hat er etwas falsch gemacht?

Schließlich kommt ein großer, stark bewaffneter Ork frontal auf ihn zu.

„Was willst du hier, Kind“, fragt er ruppig.

Xenos schaut zu ihm hoch: „Ich habe gehört, dass nachts eine Person im Umhang durch das Lager streifen soll. Könntet Ihr mir Näheres erzählen? Ich suche …“

Der Ork unterbricht ihn und schnaubt wütend: „Das geht dich gar nichts an. Bürger, insbesondere kleine neugierige Kinder, sollten sich nicht in die Angelegenheiten des Militärs einmischen.“

„Du trägst selbst einen Umhang“, grummelt ein weiterer Ork von der Seite. „Der sieht sogar verdächtig ähnlich aus.“

Verblüfft schaut der Ork vor Xenos zu seinem Kollegen: „Ist das so? Dann ist er womöglich unser Gesuchter.“

Schon packt ihn der Soldat mit kräftigem Griff am Arm und zieht ihn mit sich.

„Moment mal“, will Xenos richtigstellen. „Gesuchter? Ich bin erst heute Morgen in die Stadt gekommen. Wen auch immer Ihr sucht, ich bin es sicher nicht!“

Ohne auf die Worte des Jungen zu achten, schleift ihn der grimmige Ork hinter sich her. So sehr Xenos seine Fersen auch im Boden vergräbt, er schafft es nicht, dem Berg an Muskeln auch nur den geringsten Widerstand zu bieten.

Hilflos wird der kleine Junge bis zu einem großen Zelt in der Mitte des Lagers gezerrt. Unsanft wird er hineingeschubst. Xenos hat Mühe, sich zu fangen und nicht hinzufallen. Er schaut sich um. Im Zelt stehen verschiedene andere Orks im Kreis um ihn herum. Ein Ork mit elegantem Fellüberwurf sitzt auf einem großen, mit beeindruckenden Schnitzereien verzierten Holzstuhl.

Hinter dem jungen Nekromanten betritt der Soldat das Zelt, welcher ihn hierher brachte: „Ich habe einen Knirps gefunden, der sich hier im Lager verdächtig gemacht hat. Er trägt denselben Umhang wie der Störenfried, der nachts unsere Truppen verzaubert.“

Sofort öffnet Xenos den Mund, um sich zu erklären. Doch noch bevor er etwas sagen kann, wird er von dem großen Ork auf dem Stuhl zur Ruhe aufgefordert.

„Schweig still, Kind!“, wird ihm in rauem Ton befohlen. „Ich bin General Uogh Bar. Meine Truppe ist auf dem Weg zur Kaiserstadt und wir lassen uns nicht länger durch die kleinen Zauber eines missratenen Menschenkindes von unserem Ziel abhalten. Du wurdest offensichtlich erkannt. Was willst du schon noch sagen, um dich zu verteidigen?“

„Ich war das nicht“, entbrüstet sich Xenos, als er endlich das Wort bekommt. „Wie ich Eurem Untergebenen bereits sagte, bin ich erst seit heute Morgen in der Stadt. Was Ihr mir unterstellt, kann ich unmöglich gewesen sein. Abgesehen davon, womit sollen eure Truppen überhaupt verzaubert worden sein?“

General Uogh wird lauter: „Was für faule Ausreden. Wo willst du denn bitte herkommen? Womit und wie du die Truppen verzaubert hast, weißt du doch wohl besser als wir, Zauberer! In der Nacht verhext du unsere Truppen und am nächsten Morgen sind sie träge und wollen sich kein Stück mehr bewegen.“

„So einen Zauber kenne ich nicht.“

„Aha“, ruft der General aus. „Also gibst du zu, dass du ein Zauberer bist!“

Genervt und leicht wütend, rollt Xenos mit den Augen. Er überlegt, was er nun antworten soll. Magie ist bei den Orks nicht sehr verbreitet. Bis auf ein paar Schamanen und andere Zauberkundige gibt es keine Magier unter ihnen. Wer zaubert, wird in vielen Clans gar als unehrenhafter Schwächling angesehen. Ihr Verständnis über die Welt der Magie hält sich daher in Grenzen.

Schließlich entschließt sich Xenos zu lügen: „Ich bin kein Zauberer. Ich habe keinerlei magische Kräfte, selbst wenn ich wollte, könnte ich keine Zauber wirken.“

Die Orks beäugen ihn misstrauisch. Uogh grummelt. Kurzerhand befiehlt er, die Sachen des Jungen zu durchsuchen. Missfällig lässt Xenos sich abtasten. Er ist sich sicher, dass sie nichts finden werden. Für seine Zauber verwendet er weder Stab noch Fokus oder irgendwelche anderen magischen Hilfsmittel. Bis auf seine Gürteltasche trägt er auch keinerlei eindeutig identifizierbare magische Artefakte bei sich. Doch ausgerechnet an dieser bleiben sie hängen. Sie ziehen einen Gegenstand nach dem anderen aus der kleinen Tasche. Offensichtlich passt viel mehr hinein, als man von außen vermuten lässt. Einer der Orks steckt seinen ganzen Arm in die kleine Öffnung. Ein Raunen und Brummen geht durch die Menge. Zu alledem zieht der Ork draufhin eine kleine Box aus der Gürteltasche. Er öffnet sie und präsentiert den Inhalt umgehend dem General.

Dieser rümpft die Nase: „Was ist das? Eine abgetrennte Hand?“

Es ist ein Übungswerkzeug und Spielzeug für Nekromantenlehrlinge. Ein gutes Trainingsobjekt für die meisten Grundlagen. Sei es das Steuern von Bewegungen, das Erwecken zu einem Diener oder auch das Verknüpfen von Seelen. Glücklicherweise scheinen die Orks darüber jedoch nicht Bescheid zu wissen. So kann sich Xenos eine Geschichte ausdenken.

Er beginnt zu schluchzen, drückt sich eine kleine Träne aus seinen Augen: „Es-es ist die Hand meiner Mama. Eines Nachts ging unser bescheidenes Haus in Flammen auf. Sie hat es nicht mehr heraus geschafft. Ihre Hand ist das letzte Erinnerungsstück an sie, was ich noch habe.“

„Jämmerlich“, winkt der General gefühlskalt ab und sein Untergebener verschließt die Box.

Innerlich steigt in Xenos ein Grinsen auf, doch er unterdrückt es. Seine Täuschung hat funktioniert. Das bringt die Orks jedoch nicht davon ab, weitere Gegenstände aus der eindeutig magischen Gürteltasche zu ziehen. Neben Büchern fällt ihnen auch eine durchsichtige Kugel in die Hände. Die Kugel, die der Junge in Erah von der verrückten fahrenden Händlerin Guren geschenkt bekommen hat. Der Ork begutachtet sie, verliert aber auch an diesem Objekt schnell das Interesse. Achtlos lässt er sie zu Boden fallen. Als sie aufschlägt, aktiviert sie sich jedoch und beginnt hell zu leuchten.

„Da ist es!“, schreit der Uogh. „Ein magischer Fokus. Erklär dich, Menschenkind!“

Xenos seufzt genervt. So ein schlichtes Spielzeug soll ihn nun tatsächlich überführen? Sie funktioniert nicht einmal mit Magie. Für die Orks scheint es jedoch eindeutig zu sein. Warum hat er die Kugel nur angenommen.

„Das ist eine Leuchtkugel. Oder so ähnlich. Den genauen Namen kenne ich auch nicht“, versucht der Junge bestmöglich zu erklären. „Sie wurde von den Hochelfen aus Glühwürmchen hergestellt. Es ist keine Magie, sondern Alchemie.“

Erneut geht ein Raunen durch die Menge. Die Erklärung scheint den Orks weder zu gefallen noch sie zu überzeugen. Wahrscheinlich verstehen sie von Alchemie genauso wenig wie von Magie.

„Alchemie, Magie, Hexerei“, murmelt der General und wird lauter. „Am Ende alles dasselbe! Zusammen mit deiner Tasche liefert das den Beweis für dein Intrigenspiel.“

Er macht eine kurze Pause, doch bevor Xenos sich erneut versuchen kann zu erklären, beginnt er weiterzusprechen: „Du wirst bestraft werden für deine Machenschaften. Du hast der Armee geschadet und uns viel Zeit gekostet. Wir werden für das Menschenvolk ein Exempel statuieren. Wer sich der Armee in den Weg stellt, wird dafür büßen. Du wirst im Morgengrauen vor allen Augen hingerichtet!“

Xenos‘ Mundwinkel klappen ungläubig nach unten. Hinrichten? Das muss ein schlechter Scherz sein. Das können sie nicht ernsthaft in Erwägung ziehen!

„Sperrt ihn weg“, verlangt der General.

Schnell verbreitet sich in der Stadt die Nachricht über die morgige Hinrichtung eines kleinen Menschenjungen als Schuldigen an den Problemen im Orklager. Auch wenn niemand ihn kennt, stößt dieses Urteil bei vielen Einwohnern auf Unmut. Ein Menschenkind von fremden Orks zum Tode verurteilt? Damit überschreiten die geduldeten Gäste eine Grenze. Noch am selben Tag besucht der Präfekt der Stadt persönlich das Zeltlager der Orks, um mit General Uogh Bar zu sprechen. All seine Bemühungen erweichen den Truppführer jedoch nicht. Die Orks sind weitgehend bekannt für ihre Disziplin und Loyalität, besonders in ihrer Armee. Aber sie sind ebenso bekannt für die Härte ihrer Strafen bei Verstößen gegen ihre Gesetze. So kommt der Präfekt nach langen Verhandlungen ohne Erfolg zurück in die Stadt. Bis zum Abend nimmt die Verärgerung der Bewohner immer weiter zu. Schließlich berufen die Bürger im größten Wirtshaus der Stadt eigenständig eine Versammlung ein.

„Wir können das unrechtmäßige Urteil der Orks nicht einfach hinnehmen“, ergreift ein strammer, bärtiger Mann das Wort. „Sie mögen vielleicht gekommen sein, um die Kaiserstadt zu befreien und uns Menschen zu helfen, doch das gibt ihnen noch lange nicht das Recht über unsere Kinder zu richten!“

Die Leute jubeln und klatschen.

„Da unser Präfekt ohne ein Ergebnis zurückkam, scheinen sie sich nicht einfach durch bitten und betteln überzeugen zu lassen. Wir müssen einen anderen Weg finden. Hat jemand eine Idee?“

Ein anderer Mann aus der Menge steht auf: „Wir könnten uns zum Zelt schleichen, in dem der Junge gefangen gehalten wird, und ihn befreien.“

Ein Getuschel geht durch die Menge.

Dann erhebt sich ein älterer Bürger: „Die Orks sind heute besonders wachsam. Ich denke, es wird schwer sich dort heimlich einzuschleichen und auch wieder herauszukommen.“

„Wie wäre es, wenn wir direkt die Hinrichtung boykottieren“, schlägt eine Frau aus der Menge vor.

Schließlich stellt sich ein junger Mann aus den hinteren Reihen auf einen Tisch. Er wirkt entschlossen.

Lauthals, mit klaren Worten verschafft er sich Gehör: „Bei der Hinrichtung sind die Orks sicher auf eventuelle Zwischenfälle vorbereitet. Das klappt nie. Auch sich reinzuschleichen wäre viel zu riskant. Werden die Eindringlinge geschnappt, werden sie am Ende noch ebenfalls hingerichtet. Ich bin dafür, wir zeigen ihnen offen, was wir von ihrem Entschluss halten, unsere Kinder zu töten. Wir rebellieren. Und das noch heute Nacht!“

Er streckt die Faust in die Höhe und bekommt viele unterstützende Zurufe. Die Idee findet viel Anklang. Jeder hier will etwas unternehmen. Am liebsten sogar sofort.

„Langsam, langsam“, versucht der bärtige Sprecher in der Menge wieder Ruhe einkehren zu lassen. „Das würde doch nur eskalieren. Lasst uns versuchen, am nächsten Morgen gemeinsam die Hinrichtung zu stören, indem wir uns ihnen in den Weg stellen.“

Die aufgebrachte und wütende Meute beruhigt sich etwas. Wieder geht Getuschel durch die Menge.

Die Frau, welche den Vorschlag einwarf, versucht zu überzeugen: „Wenn sie sehen, dass wir uns gemeinsam und vor allem friedlich gegen ihr Urteil stellen, geben sie vielleicht nach.“

„Das ist doch nur Wunschdenken“, widerspricht der junge Mann der Frau: „Orks sind unerweichlich. Sie werden von der Härte der Strafe nicht abweichen.“

Der Organisator des Treffens übergeht den letzten Einwurf: „Es ist das Beste, die Hinrichtung gemeinsam am Morgen zu boykottieren. Daher werden wir diesen Vorschlag umsetzen. Lasst uns also nun heimkehren und dafür sorgen, dass wir morgen pünktlich in großer Stärke auf den Straßen sind!“

Xenos sitzt die Nacht über in seiner Zelle. Er bekommt vom Trubel draußen in der Stadt nur wenig mit. Der Junge überlegt daher selbst, wie er sich aus seiner misslichen Lage befreien kann. Er zerbricht sich den Kopf. Es kommt ihm aber kein Einfall, bei dem er nicht unweigerlich einen harten Kampf riskiert. Solange ihm kein Plan einfällt, denkt Xenos nicht eine Sekunde daran, sich schlafen zu legen. Bis spät in die Nacht sitzt er auf dem staubigen Boden.

Plötzlich vernimmt er in einiger Entferung Tumult. Man hört Menschen rufen und schreien. Auch das Grunzen einiger Orks ist zu vernehmen. Die Geräusche werden immer lauter. Der Junge wundert sich, was da draußen los ist, doch Informationen erhält er als Gefangener natürlich nicht.

Zu diesem Zeitpunkt sind in der Stadt zahlreiche, vor allem jüngere Bürger auf den Straßen. Mit Fackeln und einfachen Waffen machen sie sich zum Armeelager vor der Stadt auf. Die Orks beginnen die Straßen, welche zu ihrem Lager führen, zu blockieren. Die Forderung der Leute, das gefangene Kind freizulassen, wird immer deutlicher. General Uogh Bar lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Er befiehlt seinen Truppen, die Unruhen zu beenden, wenn nötig mit Gewalt. Entgegen seiner Erwartung lassen sich die rebellierenden Einwohner auf den Straßen von den vorrückenden Orks allerdings nicht beirren. Mit Möbeln aus den Häusern errichten sie provisorische Straßenbarrikaden und bewerfen die bedrohlich näher kommenden Orks mit Steinen und anderen handlichen Dingen.

Uogh denkt jedoch nicht daran, nachzugeben. Schließlich ergeht der Befehl, den Widerstand mit allen Mitteln niederzuschlagen. Wie vorhergesagt, ist das der Moment, in dem die Lage beginnt zu eskalieren. Es kommt zu regelrechten Straßenkämpfen zwischen den gut ausgerüsteten kriegerischen Orks und den einfachen Einwohnern Moavirs. Vom Rathaus her beobachtet der Präfekt machtlos die sich zuspitzende Situation. Auch die wenigen Stadtwachen können keine Schlichtung mehr bewirken. Natürlich sind die Bürger den Orks unterlegen. Die brutalen Soldaten nehmen nach dem Befehl ihres Generals jedoch keinerlei Rücksicht mehr. Die Bürger sind nun ihre Feinde und so agieren sie auch.

Der Anblick der Gewalt reißt alte Wunden auf. Die Grenzgebiete zum Ödland Reich wurden in der Vergangenheit von verschiedensten Orks immer wieder geplündert und verwüstet. Sie hinterließen meist nichts als Tod und Zerstörung. Obwohl mittlerweile Frieden herrscht, scheint sich dies nun aber zu wiederholen. Der Präfekt kann nicht einfach zusehen. Umgehend sendet er ein Eilschreiben an die benachbarte Grenzgarnison Hellsheide. Kurz und knapp beschreibt er die Situation und bittet um dringende Unterstützung.

Unterdessen überrennt die Orkarmee tatsächlich weite Straßenzüge der noch am Tage friedlich mit ihnen kooperierenden Stadt mit aller Brutalität und ohne Rücksicht auf Verluste. Trotz der aussichtslosen Lage und absoluten Unterlegenheit leistet die Bevölkerung bis kurz vor Sonnenaufgang Widerstand. Dann können die letzten Bürger neue Hoffnung schöpfen. Am Horizont erreicht die Unterstützung aus Hellsheide die verwüstete Kleinstadt. Die gut ausgestattete Garnisonsarmee aus kaiserlichen Soldaten mischt sich als Frieden bringende Dritte in die Stellungsgefechte ein. Doch die Orks machen keinen Unterschied zwischen der rebellierenden Bevölkerung und den schlichtenden Soldaten der kaiserlichen Armee. Der befehlshabende Offizier muss sich schließlich eingestehen, dass der Versuch der Deeskalation gescheitert ist. Ihm bleibt keine andere Wahl als zu befehlen, die Orks aus der Stadt zurückzudrängen. Gemeinsam mit den Bürgern gelingt es ihnen, Straßenzug um Straßenzug wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Orks hingegen fühlen sich noch mehr provoziert. Im gesamten Lager bricht Kampfstimmung aus. Die Soldaten sprechen von Krieg, Krieg gegen das Kaiserreich. Doch waren sie nicht gekommen, um es zu unterstützen?

Durch die hektischen Gespräche vor den Zelten bekommt nun auch Xenos mit, was sich draußen abspielt. Ebenso bekommt er ein entscheidendes Detail mit. Die Orks wollen sich durch einen taktischen Rückzug wieder einen Vorteil verschaffen. Auf die Unterstützung durch kaiserliche Soldaten waren sie nicht vorbereitet. Sie wollen sich daher in die naheliegende Burgruine zurückziehen und mit besserer Ausgangsstellung später zurückschlagen.

Nun wird Xenos alles klar. Die verschwommenen Bilder seiner Vision fügen sich zusammen. Die Orks auf dem Weg zur Burgruine! Sie ziehen nicht dort hin, weil sie wissen, dass sich dort Leute befinden. Sie ziehen sich dorthin zurück durch die Unruhen, die Xenos selbst ausgelöst hat! Der Junge beginnt zu verzweifeln. Er selbst ist schuld, dass sich jetzt erfüllt, was er sah. Er muss etwas tun, doch scheint es schon zu spät. Selbst wenn er jetzt ausbricht, kann er die sich in Bewegung setzenden Orks nicht mehr aufhalten. Hilflos schlägt er sich mit der Faust gegen die Stirn und hofft auf irgendeine Eingebung. Er ist so nah bei seiner Schwester Ayame. Irgendwie muss er sie noch retten können.

Plötzlich schießt es ihm in den Kopf. Er muss Ayame retten. Befreien kann er sie wohl nicht mehr. Aber alles, was zählt, ist, dass sie überlebt. Schnell beißt er sich in den Finger. Blut tropft zu Boden. Ein Sigil zeichnet sich. Vier kleine verwesende Ratten graben sich aus dem Boden.

„Lauft zur Ruine und warnt die sich dort Versteckenden vor den kommenden Orks“, befiehlt der Nekromant ihnen. „Sie sollen … sich zurückziehen.“

Die Ratten quietschen und sprinten unbemerkt davon.

Wenig später ziehen knapp fünfhundert bewaffnete Orks zur naheliegenden Burgruine, während die Orks im Lager gegen eine stetig wachsende kaiserliche Armee ankämpfen. Der Stoßtrupp erreicht die Ruine. Niemand befindet sich in ihr. Gefahrlos ziehen sich die Orks aus dem Gefecht in die Burg zurück. Für Xenos haben sie dabei keine Gedanken mehr übrig. Die kaiserliche Armee befreit den Jungen schließlich aus dem zurückgelassenen Zeltlager. Xenos ist wieder frei. Doch die Spur zu Ayame ist verloren.


Geschrieben von: Mika
Idee von: Mika
Korrekturgelesen von: May
Veröffentlicht am: 01.11.2016
Zuletzt bearbeitet: 26.05.2023
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